Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
denkst doch wohl nicht, dass er es war. Sieh mal, die Zeiten stimmen nicht überein. Der Mord ist, meiner Meinung nach, zwischen drei und vier passiert.«
»Die Leichen sind aber erst um sieben entdeckt worden. Und zwischen dem Mord und dem Auffinden hat jemand sie von einem Ort zum anderen gebracht.«
Der wichtigste Treffer. Was ist denn ein Krankenwagen anderes als ein großer weißer Lieferwagen?
9
A uf der Rückseite des Blattes, auf dem er das Perimeter des Falles aufgezeichnet hat, stellt Roberto ein Verzeichnis derjenigen zusammen, die bereits am Monte della Libertà waren, als er dort eintraf. Neben die Namen schreibt er eine Nummer. Die Priorität.
1. Berto Guerzoni. Er verbirgt etwas.
2. Salvatore Rende. War nicht da, als ich angekommen bin. Nach allem, was Bondi und Alice gesagt haben, hätte er aber vorher da sein können. Guerzoni hätte in der Rettungswache anrufen können, zusätzlich zur Polizei. Das wäre logisch gewesen. Er korrigiert sich. Er hat nicht die Polizei angerufen, sondern den Polizisten: Manzini. Auch das hat seine eigene Logik, wenn auch eine etwas verquere.
3. Luigi Raimondi, Alver Govoni und seine Mutter Argìa. Scheinen weniger interessant.
4. Mattia Bondi. Den hab ich getroffen, als er schon auf dem Rückweg war, er hat mich fast von der Straße gedrängt. Aber mit dem hab ich schon fast zu viel geredet.
Er verlässt das Büro und pflanzt sich auf Manzinis Schwelle auf. Der starrt nach draußen in den Nebel, der sich in dichten Schwaden vor dem Fenster ballt.
»Wir müssen noch mal zum Monte della Libertà. Zu Guerzonis Haus«, fängt Roberto an, was Manzini zusammenfahren lässt. Er legt die Schlüssel auf den Schreibtisch. »Fahr du, bei der Dunkelheit und dem Wetter würde ich es nicht mal heil von der Piazza schaffen.«
»Soll ich ihn anrufen und uns ankündigen?«
Roberto schüttelt den Kopf. »Ich ziehe es vor, ihn zu überraschen.«
Genau in diesem Augenblick klingelt es. Manzini steht auf und geht zur Tür. »Ah, Sie sind es, Herr Bürgermeister. Bitte, machen Sie es sich im Büro des Kommissars bequem. Er kommt sofort zu Ihnen. Möchten Sie einen Kaffee?« Eine Serie fester Schläge auf dem Boden. Die Krücke.
Als der Kollege zurückkehrt, breitet Roberto mit anklagendem Blick die Arme aus.
»Wie soll ich denn den Bürgermeister draußen vor der Tür stehen lassen?«
»Indem du ihm sagst, dass wir mitten in einer wichtigen Ermittlung stecken.«
»Was glaubst du denn, worüber er mit dir reden will? Darüber, dass es noch keinen Schnee gegeben hat?«, gibt Manzini zurück und setzt sich wieder.
Roberto beruhigt sich. »Du hast recht. Bring mir auch einen Kaffee.« Er stand weiter hinten auf der Liste, früher oder später hätte ich sowieso mit ihm sprechen müssen.
Er findet Raimondi in seinem Büro sitzend vor. In den Fünfzigern, kaum einen Meter siebzig groß und nachlässig gekleidet. Das einzige Gepflegte an ihm ist der Schnurrbart, noch tiefschwarz wie auch das Haar. Er hat die Hände und das Kinn auf den Griff der Krücke gestützt, die es ihm trotz einer Missbildung des linken Beines erlaubt zu gehen.
»Es tut mir leid, dass Sie bei diesem Nebel extra herkommen mussten.«
»Machen Sie sich keine Gedanken, ich komme aus dem Rathaus. Für mich wäre heute ein ganz normaler Arbeitstag gewesen, auch wenn nicht passiert wäre, was passiert ist. Ich dachte, ich schaue mal vorbei, um mit Ihnen zu reden, bevor ich nach Hause gehe.« Seine kräftige Stimme wird durch ein leichtes Näseln getrübt. Raimondi gilt als unermüdlicher Arbeiter, weshalb ihn die Einwohner des Dorfes auch schon zum zweiten Mal in seinem Amt bestätigt haben.
»Ich habe im Fernsehen gehört«, fährt er fort, »dass die drei Leichen identifiziert worden sind.«
Sernagiotto hat keine Zeit verloren. »So ist es, aber ich darf Ihnen nicht mehr dazu sagen. Die Informationen sind vertraulich.«
Raimondis Lippen unter dem Schnurrbart verziehen sich und nehmen einen harten Zug an. »Die Opfer sind nicht von hier, wie ich vermutet habe.«
»Ändert das was?«
»Sicher. Ich bin bereit zu wetten, dass auch der Mörder keiner di nòster ist.«
Das ist also der Grund des Besuchs. Eine weitere Folge von Bondis Artikel.
»Eine massakrierte Familie ist eine massakrierte Familie, und ein Mörder ist ein Mörder. Es spielt keine Rolle, wo sie geboren sind.«
»Jetzt hören Sie doch, die Bürger von Case Rosse sind zu solchen Grausamkeiten einfach nicht
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