Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
aus, als koste ihn jeder Schritt Mühe. Er zündet drei Kerzen an, dann lädt er Roberto ein, sich in die erste Bank zu setzen, direkt vor die Särge.
»Mit Gottes Hilfe«, fängt er zu sprechen an, »habe ich es geschafft, die Trauermesse zu halten, während jemand anderes sich öffentlich damit brüstet, den Mörder dieser armen Familie gefunden zu haben. Ich hätte die Stille ja wesentlich passender gefunden, aber die Welt hat sich zu schnell verändert für einen armen alten Mann wie mich. Wenn während der Messe Journalisten in der Kirche gewesen wären, hätte ich sie hinausgeworfen, wie es unser Herr mit den Händlern im Tempel getan hat.«
Er hält einen Augenblick inne und betrachtet die Särge mit feuchten Augen. »Wie kommt es, dass Sie nicht an der Pressekonferenz teilnehmen?«
Roberto antwortet, ohne nachzudenken: »Ich glaube, dass die armen Leute, deren Trauerfeier Sie gerade abgehalten haben, erst in Frieden ruhen werden, wenn wir ihren Mörder haben, sei es nun der, der heute verkündet wird, oder nicht.«
Don Gaspero steht auf, lässt alle Knochen in seinem ausgemergelten Körper knacken. Im flackernden Licht der Kerzen sieht er aus wie eine Vogelscheuche im Talar, die der erste Windstoß umschmeißen kann.
»Ich fürchte, Sie haben auf irgendeine Art und Weise recht, auch wenn ich Ihnen als Mann der Kirche eigentlich sagen müsste, dass nur der liebe Gott den Schlaf der Gerechten garantieren kann«, sagt er und zeigt mit einem krummen Finger nach oben. »Begleiten Sie mich ins Pfarrhaus. Ich werde Ihnen bei einem Glas Rotwein das wenige erzählen, was ich über diese Leute weiß. Der Herr vergibt seinem untertänigen Diener dieses kleine Laster, das es ihm ermöglicht, die Aufgabe zu erfüllen, die Er ihm anvertraut hat.«
4
D er große Raum im Erdgeschoss des Pfarrhauses wird anscheinend von Don Gaspero für alle Aktivitäten des Lebens genutzt, außer zum Schlafen. Er ist durchtränkt von dem typischen Geruch der Wohnungen alter Menschen, einer Mischung aus aufgewärmten Mahlzeiten, Naphthalin für die Kleidung, Staub.
Nicht sehr viel anders als in Guerzonis Haus, aber hier fehlt dieses Niederdrückende der Einsamkeit.
Sie setzen sich auf zwei schwere, abgenutzte Stühle, die um einen schlichten Holztisch herum stehen.
»Die übliche Gesellschaft eines alten Menschen«, sagt der Priester und zeigt auf einen Fernseher, der stumme Bilder in Schwarz-Weiß zeigt, und eine grüne Flasche, aus der er zwei Gläser bis zum Rand füllt.
»Ich komme aus Bertinoro, mitten in den schönsten Hügeln der Romagna gelegen, deshalb biete ich Ihnen Wein an und nicht Wasser, wie es ein Emilianer tun würde. Das ist ein Sangiovese und nicht dieses Sprudelzeug, das hier getrunken wird.«
»Sie stammen nicht aus Zocca?«
Der alte Priester schüttelt den Kopf. »Meine Kurie hat mich im Januar 1944 hierhergeschickt. Das Dorf war bis auf die Grundmauern geschleift. Die Alliierten haben die Häuser bombardiert, um die Nazifaschisten auszulöschen, die schon alle Leute weggeschafft hatten. Leid, das auf Leid kam. In dieser Zeit habe ich zum ersten Mal den Namen Zanarini gehört.« Er unterbricht sich, um zwei große Schlucke zu trinken, dann stellt er das Glas mit zufriedenem Gesicht wieder ab. »Ich habe mich oft gefragt, warum diese armen Leute den Namen nicht gewechselt haben. Aber dies war der Wille des Herrn.«
Roberto kann die Informationen nicht miteinander in Verbindung bringen.
»War der Name denn so bekannt?« Die Identität der Opfer ist für den Mörder von grundlegender Bedeutung. Er hat ihnen die Papiere abgenommen.
»Für die Leute hier in der Gegend bedeutet der Name Zanarini immer Enrico Zanarini. Ihr Akzent verrät, dass Sie von weither kommen, weshalb Ihnen das nichts sagt. Das Schlimme ist, dass auch viele junge Leute noch nie davon reden gehört haben. Aber bei den Leuten meines Alters weckt er die schlimmsten Erinnerungen an den Krieg. Er war ein hohes Tier in der faschistischen Partei, man nannte ihn auch den Henker des Apennins.«
»War er mit Sergio Zanarini verwandt? Oder stimmen die Namen zufällig überein?«
Don Gaspero leert das Glas. »Er war sein Vater. Ich habe ihn in Ciano kennengelernt, einem Weiler, der zu Zocca gehört. Er war gerade dabei, zwanzig Menschen an Schlingen aus Draht aufzuhängen, wie man ihn damals zum Zusammenbinden des Heus benutzte.«
Eisendraht. Wie Guerzoni. Ein Bild aus dem Tanz blüht auf. Der Mann mit den gefolterten Beinen und dem
Weitere Kostenlose Bücher