Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
in dem ebenso üblichen belehrenden Tonfall an: »Hört, hört, beginnen wir mit dem Gewehr. Guerzonis Fingerabdrücke sind auf dem Kolben, dem Abzug und dem Lauf. Der Paraffintest hat bestätigt, dass er die Waffe in den letzten vierundzwanzig Stunden benutzt hat. Das ballistische Gutachten lässt keine Zweifel offen: Das Gewehr, das er zu Hause hatte, ist auch dasjenige, mit dem die Schüsse abgegeben wurden. Ein Garand M1, altersschwach, weit verbreitet während des Zweiten Weltkriegs. Die Truppen der Vereinigten Staaten waren damit ausgerüstet, was auch eine Prägung auf dem Kolben belegt: S . A ., was für ›Springfield Armory‹ steht. Die Munitionshülsen Kaliber .3006, die unter dem Bett gefunden wurden, sind mit diesem Gewehr abgeschossen worden.«
Pause, Schnauben. »Dann sind da noch die Stofffetzen, die unter diesem dreckigen Kissen lagen. Sie wurden benutzt, um die Zanarinis zu knebeln. Auf jedem finden sich Speichel und Blut der Opfer, und auf zweien haben wir sogar Haare gefunden. Willst du wissen, welchen das Mädchen hatte?«
Noch mehr Schnauben. »Gehen wir zu dem Eisendraht der Schlinge. Durchmesser und Stärke passen zu den Malen, die an den Handgelenken der Zanarinis gefunden wurden. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um dasselbe Material. Ebenso wahrscheinlich stammt es aus Guerzonis Heuschober.«
Ein Geräusch, vielleicht die Zigarette, die in den Aschenbecher geworfen wurde. »Was ich beinahe vergessen hätte: Es gibt ein schriftliches Geständnis. Was willst du mehr? Einen Film von dem Mord? Ich habe die Fotos gesehen: Dieser Bauer sah doch aus wie ein Doppelgänger von Pietro Pacciani, dem Serienmörder von Florenz. Er hat bekommen, was er verdient hat. Neulich hast du gesagt, du hättest noch nie Jagd auf Gespenster gemacht, also fang nicht jetzt damit an.«
Roberto kann sich nicht mehr beherrschen. »Warum nimmt Bernini nicht an der Pressekonferenz teil?«
»Er hat wichtige Verpflichtungen. Der fliegt auf einer Höhe, die du dir da zwischen deinen Ziegen nicht mal vorstellen kannst.«
»Und jemand aus deiner Familie fliegt noch höher, was? Du hast recht, so was liegt mir sehr fern.«
Sernagiotto verharrt ein paar Sekunden schweigend, dann antwortet er mit schneidender Stimme: »Weißt du, was ich denke, Serra? Dass du neidisch bist.«
»Und du willst doch bloß vermeiden, dass eine Lösung infrage gestellt wird, die dir Ruhm und Zustimmung einbringt, ohne dich darum zu scheren, ob sie zutrifft. Willst du wissen, was in deiner Rekonstruktion alles nicht passt?«
»Wenn du unbedingt willst.«
»Wie hat Berto Guerzoni es angestellt, bis zum Colle della Guardia zu kommen? Mit dem Traktor? Das sind fünfzig Kilometer voller eisglatter Kurven. Wie hat er die Leichen auf den Monte della Libertà transportiert? Weitere fünfzig Kilometer, noch dazu bergauf. Ich hab mir diesen Traktor angesehen, wenn auch nur flüchtig, aber ich würde wetten, dass er dafür nicht verwendet worden ist. Und du? Hast du ihn untersuchen lassen? Hast du was gefunden? Sag mir, dass es anders ist, und ich steh in der ersten Reihe, um dir zu applaudieren. Und nun zu dem Brief, in den du so viel Vertrauen setzt. Du hast doch ein Schriftgutachten eingeholt? Nein, stimmt’s? Das braucht Zeit. Und die Titelseiten warten nicht. Du wirst die Fotos bei Guerzoni gesehen haben, ich habe mit ihm gesprochen. Auf ein Wort Italienisch kamen zwei Worte Dialekt. Warum hat er nicht einfach geschrieben, dass er sie ermordet hat? Was bedeutet das mit der Gerechtigkeit der Märtyrer? Diese Formulierung ist auch auf dem Denkmal eingraviert, unter dem die Zanarinis aufgefunden wurden. Gibt es da eine Verbindung? Und wenn ja, welche?«
Roberto, der als Antwort nur das Klicken eines Feuerzeugs hört, fährt fort: »Und warum sollte er die Leichen in die Nähe seines Hauses transportieren und damit das Risiko erhöhen, entdeckt zu werden? Er kann nicht alle Spuren verwischt und dann eine so grandiose Dummheit begangen haben. Entweder ist er ein Genie oder ein Vollidiot, aber nicht beides zugleich. Und nehmen wir einmal an, er hätte sich selbst getötet. Warum hat er einen so schrecklichen Tod gewählt?«
Sernagiotto antwortet, kalt: »Du hast dir deinen Film schon gedreht, was? Dank dieses Falls wolltest du ein Star werden und dieses Loch am Ende der Welt verlassen, in dem du gelandet bist, stimmt’s?«
Roberto ist überwältigt von einem Gefühl der Machtlosigkeit: »Ich sehe mir schon keinen Film an, und erst
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