Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Graffiti zu Ehren Vasco Rossis Roberto in Zocca. Die Siebzigerjahre haben auch hier ihre Spuren hinterlassen, es ist unmöglich, das Dorf, ausgehend von dem Foto in Guerzonis Haus, wiederzuerkennen.
Er parkt vor der großen Kirche aus golden glänzendem Stein, übergroß im Vergleich zum Rest der Ortschaft, die sich entlang der Hauptstraße erstreckt. Ich bin der Einzige mit Auto, denkt er, während er auf den etwas tiefer liegenden Vorplatz der Kirche rollt. Nichts lässt darauf schließen, dass hier gerade eine Beerdigungsfeier stattfindet.
Er trägt Jeans und eine blaue Fleecejacke, um nicht als Polizist erkannt zu werden. Diskretion, wie von Bernini empfohlen.
Der Eingang zu dem geweihten Gebäude ist eine kleine Öffnung, die in ein großes Tor aus bearbeitetem Holz eingelassen ist, über dem ein halbkreisförmiges Mosaik thront, das einen segnenden Christus mit geöffnetem Thorax und einem von Speeren durchbohrten Herzen darstellt.
Roberto muss den Kopf einziehen, um einzutreten. Er wird vom typischen Geruch einer Trauerfeier empfangen, der Säure des Weihrauchs, gemischt mit Feuchtigkeit und schmelzendem Wachs. Die Augen gewöhnen sich langsam an das Halbdunkel.
Er befindet sich am hinteren Ende eines weitläufigen Kirchenschiffs, an dessen Seiten viele ausgeschmückte Nischen mit Heiligenstatuen eingelassen sind. Einige wenige Bankreihen richten sich auf den Altar, vor dem drei Särge aufgebahrt sind, die die volle Aufmerksamkeit eines Priesters in violettem Gewand bekommen. Mager, sehr alt, bewegt er sich etwas unsicher um sie herum, rezitiert dabei singend Litaneien von der ewigen Ruhe und bringt das Weihrauchfass nur schwach zum Schwingen.
Nur eine Handvoll alter Leute wohnen der Beisetzung bei: drei gebeugte Frauen in der ersten Bank und eine Reihe dahinter ein Mann. Sieht aus, als gehörten die zum Inventar. Roberto lehnt sich an eine der hinteren Säulen, die fast vollständig mit metallenen Votivtafeln bedeckt ist, die Hände, Füße und andere Körperteile darstellen, die von Gottes Gnade berührt wurden. Er kann den Blick nicht von dem kleinen weißen Sarg losreißen, der das Licht aufsaugt, anstatt es zu reflektieren.
Die Trauerfeier ist ein Monolog des Priesters, der vollkommen erschöpft schließlich das Ite missa est erreicht. Die Alten bekreuzigen sich murmelnd und streben gleich dem Ausgang zu. Roberto geht in die entgegengesetzte Richtung, ignoriert vier Paar neugieriger Augen.
Mit geschlossenen Augen stützt er beide Hände auf den weißen Sarg. Du wirst in Frieden ruhen. Ich werde ihn kriegen. Um jeden Preis.
»Kannten Sie sie?«
Eine schwache, zittrige Stimme. Roberto schreckt hoch. Er mustert die vom Alter gefleckte Haut und die triefenden Augen des Priesters.
»Ich kannte jemanden, der sie kannte«, antwortet er unbestimmt. »Und Sie?«
Der Priester zeigt mit einem von Arthritis verkrümmten Finger auf die Särge. »Ich habe sie in der Kirche gesehen. Im Sommer jeden Sonntag, während des übrigen Jahres seltener. Sie sind immer allein gekommen, hielten sich von den Leuten fern und gingen auch wieder allein. Sie hatten keine Freunde, zumindest nicht im Dorf. Es war traurig, dieses kleine Mädchen zu sehen, das immer nur mit den Eltern spielte.« Ein Seufzer. »Jetzt ist es natürlich noch viel trauriger.«
»Wie kommt es, dass sie wollten, dass Sie sich um ihre Beerdigung kümmern?«
»Sergio und Elisa hatten mich darum schon vor mehr als fünfzehn Jahren gebeten. Ich hatte ihnen gesagt, dass, bedenkt man unser jeweiliges Alter, es wohl eher ich hätte sein müssen, der ihnen meine Wünsche für die Trauerfeier diktiert, als umgekehrt. Und doch hat der Herr jetzt lieber einen armen alten Mann noch länger auf der Erde lassen und ein so kleines Mädchen zu sich holen wollen.«
Der Blick des Priesters unter den dichten Augenbrauen wird plötzlich drohend. »Warum stellen Sie mir all diese Fragen? Sie sind doch wohl kein Journalist?«
Roberto hält es für angebracht, die Diskretion zu beenden. Er schüttelt den Kopf. »Ich habe keine guten Beziehungen zu dieser Sorte von Leuten.« Er nennt ihm seinen Namen und den Grund seiner Anwesenheit. Der Priester mustert ihn abschätzend, als wolle er feststellen, ob jener schmächtige Mann in sportlicher Kleidung tatsächlich ein Polizist sein kann. Schließlich streckt er ihm eine knochige Hand hin.
»Don Gaspero Fusconi, Priester in Zocca seit mehr als einem halben Jahrhundert.«
Er tritt an einen großen Kerzenleuchter, es sieht
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