Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Turbolader. Und Bremsen und Sicherheitsgurte, die auch in der Formel 1 Bestand hätten. Ihr bisher einziger Autounfall vor zehn Jahren hat ihr eine schiefe Nasenscheidewand beschert, die sie ständig daran erinnert, dass bei aller Begeisterung fürs schnelle Fahren die Sicherheit von grundlegender Bedeutung ist.
In den ersten Kurven außerhalb der Stadt reagiert der Wagen, als gäbe es keine Zentrifugalkräfte. Sie fliegt auf den Nebel zu, der in der Ebene noch dünn ist, hinter der scharfen Kurve an der Kreuzung in Muffa, die sie, ohne auch nur hinzusehen, überquert hat, aber zur Wand wird.
»Jetzt wird abgerechnet, Serra.« Es ist nicht nur Frustration, Alice ist besorgt. Sie hat die Pressekonferenz im Fernsehen gesehen. Guerzoni ist der perfekte Schuldige. Nicht sonderlich intelligent, ein Trinker, alleinstehend. Ein winziger Punkt, den man ausradieren kann, ohne dass es überhaupt jemand merkt. Zu einfach, Roberto wird sich damit nicht zufriedengeben. Er wird weitergraben und hässliche Dinge zutage fördern, außerhalb und innerhalb von sich.
Ein weiterer Schlag aufs Lenkrad. Der Wagen merkt es kaum, er gleitet wie auf Samt dahin.
7
R oberto tritt in Manzinis Büro, das Buch unter dem Arm. Der Kollege blickt ihm flehentlich entgegen. »Alice hat noch dreimal angerufen. Ich weiß inzwischen nicht mehr, was ich ihr sagen soll.«
Die wird stinkwütend sein. »Rende?«, fragt er.
»Ich hab ihn in der Rettungswache angetroffen. Er hat gesagt, dass sie heute Nacht nur wenige sind und dass er gern morgen vorbeikommen würde. Aber Alice …«
Er fällt ihm ins Wort. »Wie kam er dir vor?«
»In welchem Sinn?«
»Wie hat er reagiert? Überrascht? Kalt? Irritiert? Ich glaube nicht, dass es ihm alle Tage passiert, dass er von der Polizei einbestellt wird.«
»Er hat keine besondere Reaktion gezeigt.«
»Warten wir ab, wie er sich verhält, wenn er uns sieht. Wir gehen jetzt sofort zu ihm.« Sein Tonfall lässt keinen Widerspruch zu. Er legt Aldrovandis Buch auf den Schreibtisch des Kollegen, der seine Schultern dehnt. »Ich habe es gelesen. Sehr aufschlussreich. Und sehr hart.«
Manzini verbringt die unendlich langen Winternachmittage vergraben in historische Aufsätze über Case Rosse und den Apennin. Er hatte versucht, auch Roberto damit zu versorgen, der jedoch immer abgelehnt hatte. Ich bin hier nicht zu Hause, das sind nicht meine Leute. Wie auch, wenn man mich nach wie vor für einen Fremdkörper hält?
»Wenn ich es schon vorher gelesen hätte, hätte ich bei dem Namen Zanarini aber aufgehorcht.«
Manzini zieht den Hornkamm heraus. »Dieser Name würde jeden hier in der Gegend aufmerksam machen, jedenfalls in Verbindung mit dem Vornamen Enrico.«
»Wie kommt es, dass niemand, einschließlich dir, eine Verbindung zu den Opfern vermutet hat?«
»Gibt es denn eine?«
»Enrico Zanarini ist der Vater von Sergio Zanarini.«
Manzini steht auf, das Gesicht angespannt, der Blick düster. Er überragt Roberto um Haupteslänge. In seiner Stimme schwingt Nachsicht für denjenigen mit, der, weil er nicht von hier ist, die Dinge nicht durchschauen kann.
»Komm mit. Ich glaube nicht, dass ich dir erklären kann, was dieser Mann für die Leute in Case Rosse bedeutet hat. Du musst es selbst sehen.«
Sie verlassen das Kommissariat. Der bedrohliche Himmel umschließt sie auf den wenigen Metern über die Piazza, während der Nebel immer dichter wird. Sie bleiben vor dem Bronzeengel stehen. Roberto hat die Statue immer nur oberflächlich zur Kenntnis genommen. Eines von unzähligen Denkmälern und Gedenksteinen, die an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs erinnern und überall in den Dörfern stehen.
Außerdem hat dieser Engel etwas Beunruhigendes an sich. Mehr als zwei Meter hoch, gespenstisch im Licht der Straßenlaternen. Das Gesicht schmerzverzerrt. Der Mann, den er im Arm hält, richtet den leeren Blick auf eine Rettung, die nicht erreichbar ist. Manzinis Finger zeigt auf den Sockel. In derselben Schrift wie auf dem Denkmal am Monte della Libertà steht dort geschrieben:
Möge es nie wieder geschehen
mögen die Märtyrer in Frieden ruhen
möge den Märtyrern Gerechtigkeit geschehen
Case Rosse vergisst nicht.
In einer den Sockel umlaufenden Inschrift stehen zwanzig Namen, das hat Roberto schon gesehen. Enrico Zanarinis Opfer. Kann die Schuld der Väter auf die Söhne zurückfallen? Don Gasperos Satz wird zu einem immer wiederkehrenden Gedanken. Er öffnet den Mund, gibt aber keinen Laut von sich. Ein
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