Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
einander widersprechender Gefühle durch sich hindurchfegen. Sie verschlingen die Wut und sammeln sich in zwei großen Tränen, die ihre Augen verschleiern. Zum Glück steht sie von ihm abgewandt, sodass er es nicht sieht.
»Na gut, wenn du mir was Schönes kochen würdest, könnte ich darüber nachdenken, ob ich dir verzeihe …«, sagt sie. »Was nicht heißt, dass du kein Idiot wärst, wohlgemerkt.«
Roberto lässt ihren Arm los und tritt neben sie. »Manzini ist im Kommissariat. Entweder essen wir zu dritt oder …«
Er zeigt mit dem Daumen auf die Tür zu Alvers Osteria.
Alice bemüht sich, einen leichten Ton anzuschlagen. »Glaubst du, es reicht, wenn du mich in diese Kaschemme führst, damit ich vergesse, was für ein Mistkerl du bist?« Sie dreht sich zum Auto um.
Roberto fühlt sich augenblicklich leer. »Du fährst wieder?«
Jetzt lächelt sie wirklich. »Ich zieh mir andere Schuhe an. Die, die ich anhabe, sind sehr gut zum Autofahren geeignet, aber nicht für eine Einladung zum Abendessen, selbst wenn sie so armselig ist wie deine.« Sie öffnet den Kofferraum. »Ich habe immer ein zweites Paar dabei, man kann ja nie wissen. Es macht dir doch nichts aus, wenn ich mit Absätzen größer bin als du, oder?« Es ist ihre Art, die Einladung anzunehmen.
Als sie im Eingang der Osteria stehen, blickt Roberto zum Celica zurück, der am Denkmal steht. »Willst du das Ding da stehen lassen?«
Alice funkelt ihn an. »Das Ding da ist der absolut letzte Schrei, was Mechanik und Autos angeht. Wenn er da falsch geparkt ist, schreib mir einen Strafzettel.«
Roberto verzichtet darauf zu diskutieren. Sie durchqueren die bläuliche Rauchwolke, die im Gastraum steht. Die Stammgäste unterbrechen ihre Litanei aus Flüchen, die ihr Briscola oder Tresette-Spiel begleiten, und verdrehen die Köpfe nach Alice.
Roberto wendet sich an den großen Kerl im Hemd hinter dem Tresen, auf dem zwei Schüsseln thronen, eine mit gekochten Kartoffeln und die andere mit Soleiern. Eine ideale Grundlage für den Wein.
»Alver, hast du einen Tisch für zwei?«
»Für Sie hab ich immer einen Tisch, comisàri. Ich decke Ihnen den besten ein, wir haben Sie ja noch nie in Gesellschaft gesehen.« Er nickt zu den Kartenspielern hinüber. »So weit weg wie möglich von diesen Spannern. Nicht, dass die Ihnen den Abend verderben, weil sie so glotzen. Was gibt’s? Habt ihr noch nie eine Frau gesehen?«
Schallendes Gelächter bricht aus. Roberto würde am liebsten im Boden versinken, aber an Alice scheinen diese ärmlichen Komplimente abzuperlen. Sie setzen sich an ein Fenster am Ende des Gastraums. Alver stellt Crescentine und gebratene Kartoffelklößchen auf die ockerfarbene Papiertischdecke, dazu alle möglichen Arten von Aufschnitt, in Öl eingelegtes Gemüse, Zwiebelchen in Balsamico, frischen Schafskäse, gereiften Pecorino und Pesto montanaro, eine Mischung aus zerdrücktem Schinken, Pancetta, Knoblauch und Rosmarin.
Alice schmiert eine potenziell verhängnisvolle Menge auf eine in zwei Teile geschnittene Crescentina und bedeckt sie mit geriebenem Parmesan. Sie beißt hinein und lächelt glücklich, während sie das Ganze mit dem prickelnden Barbera des Hauses herunterspült. Roberto beschränkt sich auf ein paar kleine Häppchen.
Einige Minuten lang scheint es, als hätte keiner der beiden die Lust und den Mut, irgendeine Art von Gespräch zu beginnen. Dann, beinahe ohne es zu bemerken, fängt Roberto an, von dem Fall zu erzählen. Mit leiser Stimme, damit er nicht von den anderen Gästen belauscht werden kann. Nach anfänglicher Unsicherheit spricht er immer flüssiger und bewegt sich entlang einer absurden Zeitachse, die fünfzig Jahre umfasst. Er verbeißt sich in der Geschichte von Francesco Ferri und der Brigade Ypsilon. Und darin, was er über das Massaker am Monte della Libertà herausgefunden hat.
Sie lässt ihn reden. Erst am Schluss mischt sie sich ein, nachdem sie einen riesigen Bissen von dem gebratenen Kartoffelkloß mit frischem Schafskäse und einer Scheibe luftgetrocknetem Schinken verschlungen hat. »Du hast diese Kraft wieder zurückgewonnen, die dir neulich gefehlt hat. Die, die auf niemand Rücksicht nimmt und keine Gefangenen macht.«
Sie spricht ungestüm, als könnte sie es nicht erwarten, eine Last abzuwerfen. Ihre Hände wirbeln pausenlos in der Luft umher. Es ist reiner Zufall, dass das, was auf dem Tisch steht, nicht umgeworfen wird. Roberto setzt zu einer Antwort an, aber sie legt ihm einen Finger auf
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