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Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuliano Pasini
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der Geschichte aufgetaucht waren und unmittelbar danach auch wieder verschwanden. Die letzten dreißig Seiten rekonstruieren das Gemetzel von Monte Sole, in der Nähe von Marzabotto, wo zwischen Ende September und November 1944 ganze Dörfer mitsamt ihren Bewohnern ausgelöscht worden waren. Es gab drei Überlebende, die sich tot gestellt und zwischen den Leichen versteckt hatten, die überall herumlagen, zu Hunderten unbegraben, in der Kirche, den Häusern, auf den Weiden. Allein sie zu zählen war schwierig. Achtzehnhundert, vielleicht zweitausend, überwiegend Alte, Frauen und Kinder.
    Am Ende des Kapitels steht in der zittrigen Schrift des alten Priesters: HOMO HOMINI LUPUS . Robertos Magen krampft sich zusammen. Der Schmerz weicht blinder Wut. Ja, der Mensch kann eine Bestie für seinesgleichen werden. Ein Wolf.
    Im Anhang sind Schwarz-Weiß-Fotografien gesammelt. Gemetzel, zerstörte Dörfer, Menschen in den verschiedensten Uniformen und arme Leute, die ihre Habseligkeiten auf Karren geladen haben. Leichen. Dieselben Motive wie auf den Fotos, die in Berto Guerzonis Haus an der Wand hingen. Die Zerstörung hat gewissermaßen demokratisch zugeschlagen. Alle wurden getroffen, niemand ausgeschlossen.
    Zwei Bilder wecken seine Aufmerksamkeit. Gesichter, die er schon während des Tanzes gesehen hat. Ein junger Mann in weißem Hemd, mit einem offenen Lächeln, das schwarze Haar mit Brillantinezurückgekämmt und den Blick auf einen Punkt am Horizont gerichtet. Ein Blick, dem nicht einmal die schrecklichsten Verletzungen die Entschlossenheit nehmen konnten. Die Bildunterschrift nennt seinen Namen: »Francesco Ferri, alias Sfregio, Kommandant der Brigade Ypsilon«.
    Auf der Folgeseite der Henker Enrico Zanarini, ein Porträt, in Uniform. Ein Totenschädel auf der Mütze, weitere zwei auf den Kragenspiegeln am Hals. Totenschädel mit gekreuzten Knochen und ein finsteres Grinsen.
    Es handelt sich um den »Totenkopf«, eines der Embleme der sogenannten »Schutzstaffel«, besser bekannt als SS . Im Detail gehörte obiges Emblem zur »3. SS -Panzerdivision«, der Zanarini jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nie angehörte.
    Er hat sie getragen, um noch mehr Schrecken zu verbreiten. Roberto starrt auf das pummelige Gesicht, dessen kleine, bösartige Augen von runden Brillengläsern beschützt sind. Dieser leere Blick musste für den Fotografen ziemlich unbehaglich gewesen sein. Francesco Ferris Frau hat dich nicht gefürchtet. Auch nicht, als du sie mit der Peitsche ins Gesicht geschlagen hast. Auch nicht, als du den Befehl gegeben hast, sie zu töten.
    Vorsichtig schließt er das Buch, ohne jedoch die Schrecken, von denen es erzählt, damit in der Vergangenheit lassen zu können.

6
    F ür wen hältst du dich eigentlich, Roberto Serra!« Die Hand mit den kurz geschnittenen, gepflegten Fingernägeln trommelt heftig aufs Lenkrad. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
    Röhrend mit aller Kraft seiner zweihundertfünfzig Pferdestärken und des Zorns derjenigen, die am Steuer sitzt, schießt der Toyota Celica aus der Hofeinfahrt des Palazzo. Die Passanten auf der Strada Maggiore, alle Sinne auf Shopping und eine heiße Schokolade am Ende des Tages gerichtet, springen erschrocken beiseite. Von den zwei Türmen strömen Kaskaden aus Licht. Die Tragödie von Case Rosse hatte nur einen flüchtigen Auftritt in der Stadt, während die Leute ihre erste Hühnersuppe mit Tortellini im neuen Jahr löffelten, dann wurde sie mit dem Fastenmahl des zweiten Tages davongetragen. Bologna hatte für vierundzwanzig Stunden den Atem angehalten. Jetzt zeigt es sich erneut hell und strahlend, wie es sich während der Festtage zu geben weiß.
    Alices Augen bleiben fest auf die Straße gerichtet und die zwei und vierrädrigen oder beinigen Hindernisse. Auf dem Ring erreicht sie die hundertfünfzig. Sie schießt an einem verblüfften Polizisten vorbei und zwängt sich in einen unmöglichen Zwischenraum zwischen zwei Lastwagen.
    Sie hasst Automatikgetriebe und ähnliches Teufelswerk, die nach Meinung derjenigen, die sie erfinden, das Fahren angeblich einfacher machen sollen. Fahren bedeutet für sie stets die maximale Geschwindigkeit, die das Wetter und die Straßen hergeben, was soll daran noch zu vereinfachen sein? Sie hat nicht einmal ein Autoradio: Die einzige Musik, die sie hören will, ist die der vier Zylinder des Zwei-Liter-Motors. Dafür hat sie eine Wassereinspritzung einbauen lassen, ein Sprühsystem für den Intercooler, einen

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