Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
hat er sich versichert, dass du geatmet hast, dann ist er losgefahren, um den Rettungswagen zu holen. Er wäscht sich nicht, hat nicht gerade ein kluges Gesicht, aber er hat dir das Leben gerettet. Er steht draußen, falls du dich bei ihm bedanken möchtest.«
Ich lebe, weil Bondi mich beschattet hat. Er hätte gern noch andere Fragen gestellt, aber eine Myriade kleiner scharfer Zähnchen beißt in sein Gesicht.
»Wenn jemand versucht hat, dich aus dem Weg zu räumen«, fährt der Questore fort, »bedeutet das, du bist auf der richtigen Spur. Auch wenn ich das lieber auf eine andere Art entdeckt hätte, und du sicherlich auch. Denk du erst mal nur daran, wieder gesund zu werden. Danach sprechen wir noch mal über das, um was du mich gestern gebeten hast.«
Roberto weiß, was diese Worte bedeuten. Jemand anderes wird sich um meinen Fall kümmern. Um meine Opfer. Um Benedetta.
»Ich möchte … den Fall … weitermachen.«
»Kommt gar nicht infrage!« Bernini gibt jemandem ein Zeichen zu warten. »Wolltest du nicht aufhören? Für ein Weilchen wirst du dazu gezwungen sein. Apropos, darf man erfahren, wo du eigentlich hinwolltest?«
Im Augenblick liegt Robertos fiebrigem Geist nichts ferner als aufzuhören. »Um Tee zu trinken … mit einem alten Professor … für Geschichte.«
Der Questore schüttelt den Kopf. »Das hat auch dein Kollege mit den seltsamen Augen gesagt. Ich dachte noch, ich hätte es nicht richtig verstanden. Das muss ja wichtig genug gewesen sein, um zu versuchen, dich auszuschalten.«
Das Gesicht mit der Maske erscheint und verschwindet wieder. Bernini kommt ihm zuvor. »Ich geh ja schon.« Dann streicht er Roberto über die Stirn, mit aller Zärtlichkeit, zu der er in der Lage ist.
»Heute Nacht bleibt ein Beamter im Krankenhaus. Für alle Fälle.«
»Virgilio Aldrovandi … lassen Sie den auch schützen.«
»Wen?«
»Den Professor … mit dem ich mich treffen wollte. Die Adresse … steht im Telefonbuch.«
»Zu Befehl«, antwortet der Questore. »Denken Sie erst mal nur daran, wieder gesund zu werden.« Solange sie allein waren, hatte er ihn in aller Ruhe geduzt. Das Sie ist erst mit dem Arzt hereingekommen.
»Noch … was«, kann er gerade noch flüstern. »Warum … haben Sie die Spezialeinheit verlassen?«
Bernini bleibt auf der Schwelle stehen. Er krümmt die Schulter und klopft seine Taschen auf der Suche nach den Zigaretten ab. Der Augenblick, um diese Phase ihres Lebens zu klären, ist gekommen.
»Zu viele Tote. Zu viele Seelen, die jede Nacht zurückkamen, um Gerechtigkeit zu fordern. Deshalb konnte ich diese scheußliche Geschichte, die dir da passiert, gut verstehen. Ich hab das nicht, aber es war, als stürbe mit jedem Opfer, mit dem ich mich befasste, ein Teil von mir. Ich habe sie nie als Lumpensäcke betrachtet, wie ich es euch geraten habe, zu eurem Besten.«
»Wie ist es … hinterher? Wie lebt man, nachdem man … alles hinter sich gelassen hat?«
Ein müder Seufzer. »Die Seelen kommen trotzdem, aber du kannst nichts mehr tun, um ihnen zu helfen.«
»Erlauben Sie mir, die Seelen … der Zanarinis zur Ruhe zu betten. Danach … höre ich auf.«
Der Arzt kann sich die Veränderung nicht erklären, aber die Leidenschaft in Robertos Blick beeindruckt ihn.
5
N achdem es ihm endlich gelungen ist, Bernini hinauszukomplimentieren, fängt der Arzt an, die Daten auf einer Karte zu aktualisieren. Grau melierte Haare an den Schläfen, der drahtige Körper eines Menschen, der regelmäßig Sport treibt. Vielleicht sogar läuft. Wer weiß, ob ich das noch können werde. Das Schild an dem Kittel gehört Doktor Davide Sassi.
»In welchem … Krankenhaus … sind wir hier?«
»In der Poliklinik Sant’Orsola«, antwortet er zerstreut. »Wie fühlen Sie sich?«
Wo Alice arbeitet. Ein bohrender Schmerz zwingt ihn zu einer Grimasse. »Könnte … besser sein.«
»Aber auch sehr viel schlechter, glauben Sie mir. Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel, dann können Sie sich ausruhen. Wenn Sie aufwachen, werden sie überall Schmerzen haben. Ein gutes Zeichen, es bedeutet, dass die Nervenenden intakt sind. Was man von den Knochen nicht sagen kann, aber die werden wieder heilen.«
Roberto gibt sich mit einer so allgemeinen Versicherung nicht zufrieden.
»Was … hab ich mir getan?«
Der Arzt blickt auf die Karte, als fürchtete er, etwas zu vergessen. »Linker Oberarmknochen, ein Haufen Arbeit: multiple Frakturen, verschoben und offen. Linkes Schlüsselbein:
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