Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Case Rosse abgewandt, weil sie denken, dass es hilft zu vergessen. Obwohl ihnen das nun schon ein halbes Jahrhundert nicht gelungen ist.«
7
K urz vor siebzehn Uhr gleitet Roberto in einen tiefen, dem Fieber und den Medikamenten geschuldeten Schlaf. Mehr oder weniger zur selben Zeit beginnt in Case Rosse Schnee zu fallen, so heftig und viel, dass das Ganze zum Maßstab für viele kommende Jahre werden wird. Schwere, nasse Flocken fallen unaufhörlich. Die Dächer, die Piazza, der Bronzeengel hüllen sich in einen gleichförmigen Mantel. Die Äste der Kastanien beugen sich zu Boden, um sich von der überraschenden Bürde zu befreien, und brechen. Das Geräusch, das sie dabei verursachen, und der Wind sind das Einzige, was man in dieser unwirklichen, wie mit Watte gedämpften Welt hört. Hinzu kommt nur noch das langsame Knirschen der Schneepflüge, die während des Unwetters auf eine harte Probe gestellt werden.
Das einzige Auto, das sich auf die Straße wagt, ist ein Fiat Marea. Manzini weiß, wie gefährlich es ist, aber er wird keinen Frieden finden, solange er nicht weiß, wie es wirklich um Roberto steht. Im Dorf zirkulieren die unterschiedlichsten Gerüchte. Verletzt, gelähmt, nur noch Gemüse. Tot.
Zum Glück verwandelt sich der Schneesturm nach zwanzig Kilometern in normalen Schneefall, und die Fahrt geht schneller voran. Als er vor den ehemaligen Kasernen parkt, die jetzt das Krankenhaus beherbergen, fallen aus dem Himmel über Bologna nur noch ein paar eisige Flöckchen, die wie Styropor aussehen. Unmöglich, sich auszumalen, dass weniger als fünfzig Kilometer entfernt eine Hölle aus Schnee und Wind losgebrochen sein soll.
Das schwierigste Hindernis, das es zu überwinden gilt, liegt allerdings noch vor ihm: ein kleiner, stämmiger Beamter mit niedriger Stirn und dunklen, dichten Augenbrauen, der sich als Ciro Colajanni vorstellt. Er ist der Schutzengel, dem Bernini Roberto anvertraut hat. Er ist nicht gerade der Hellste, aber er hält sich mit brennendem Eifer an seine Anweisungen. Und die besagen, niemanden unbegleitet in das Krankenzimmer zu lassen, außer den Ärzten, auf die er aber nichtsdestotrotz ein Auge haben soll während der Behandlung.
Daher lässt er auch Manzini nicht einen Augenblick allein, ungeachtet der Tatsache, dass er ein Kollege ist. Mit gewichtiger Miene hält er kaum einen Schritt hinter ihm die Stellung, als Manzini neben dem Bett stehen bleibt und in mitfühlendem Ton ein paar wenige Worte murmelt, bevor er mit glänzenden Augen geht.
Die gleiche Behandlung erfährt der spindeldürre Beamte, der nach ihm kommt. Vizequestore Sernagiotto versucht, die Blockade mit Gewalt zu brechen, hört jedoch auf zu beleidigen und zu drohen, als ihm klar wird, dass Colajanni auf Berninis direkten Befehl handelt. Er ist nicht mehr in der Position, sich noch irgendetwas herauszunehmen. Er hält sich nur eine Minute auf, und seine Worte sind überaus klar. »Serra, nur du kannst mir jetzt noch den Arsch retten, also sieh zu, dass du wieder gesund wirst.« Dann geht er hinaus, ohne Colajanni noch eines Blickes zu würdigen, der sich großzügig aus der Thermoskanne mit Kaffee bedient, den er mitgebracht hat. Er versucht, auch Doktor Sassi eine Tasse anzubieten, als dieser kommt, um eine weitere Dosis Schmerzmittel zu verabreichen.
Gegen Mitternacht präsentiert sich ein weiterer Besucher. Ein alter Mann, klein und rundlich, mit plumpen Bewegungen. Colajanni zieht den naheliegendsten Schluss und folgert, dass es sich um den Vater des Patienten handeln müsse, über dessen Sicherheit er wachen muss. Bevor er geht, bittet er ihn um die Bestätigung. Mit einem Blick bar jeden Gefühls nickt der Alte. Roberto hingegen hätte ihn wie jemanden angesehen, den er irgendwo einmal flüchtig getroffen hatte, ohne sich zu erinnern, wann und wo.
Um zwei, während Colajanni mit bleichem Gesicht auf dem Flur hin und her geht, um den Schlaf und die Kälte zu vertreiben, kommt eine Frau im Kittel und mit einem wilden roten Haarschopf um die Ecke. Sie bittet darum, allein hineingehen zu dürfen. In der Hand hält sie ein weiches Päckchen, in braunes Papier eingeschlagen.
Nach kurzem, aber angestrengtem Nachdenken und nachdem er sich versichert hat, dass das Päckchen nichts anderes als Kleidung enthält, stimmt Colajanni zu. Als er sieht, wie sie sich auf einen Stuhl neben dem Bett setzt, als wollte sie die ganze Nacht bleiben, fragt er sich nur, warum sie nicht das freie Bett daneben nimmt. Doch ihn geht
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