Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Augen auf. »Hören Sie, Sie können jetzt nicht einfach so gehen!«, ruft er, als ihm klar wird, was er vorhat.
»Ich nehme … die ganze Verantwortung auf mich.« Roberto zeigt auf das kleine Gläschen, das der Arzt in der Hand hält. »Sind die … für mich?«
Der Arzt nickt. »Schmerzmittel, Entzündungshemmer und Antibiotika.«
»Die nehme ich … jetzt gleich.«
»Das ist der erste vernünftige Satz, den ich von Ihnen höre. Aber glauben Sie bloß nicht, Sie könnten das Krankenhaus verlassen. Ich habe äußerst genaue Anweisungen des Chefarztes.«
Roberto schluckt die Tabletten. »Dann lassen Sie ihn eben herkommen …«
Doktor Sassi sucht bei Alice Unterstützung. »Sagen Sie ihm als Ärztin doch, dass er eine unglaubliche Dummheit begeht und riskiert, dafür zu bezahlen. Wer so ein verdammtes Glück gehabt hat wie er, der darf das Schicksal nicht gleich noch mehr herausfordern.«
Alice schüttelt den Kopf. »Das habe ich ihm schon gesagt, aber mit dem Dickkopf, den er hat, könnte man Steine zertrümmern.«
Der junge Arzt warnt Roberto, sich nicht zu rühren, bis er nicht mit dem Chefarzt gesprochen hat, und geht aus dem Zimmer.
Als hätte er es nicht gehört, öffnet Roberto den kleinen Kleiderschrank und findet darin die Brieftasche, den Dienstausweis der Polizei und das Holzstück in Ypsilonform. Die Pistole ist natürlich nicht da. Ich wollte mit einem alten Professor Tee trinken, was sollte daran schon gefährlich sein?
»Wo hast du denn … deinen Boliden gelassen?«, fragt er Alice, die ihn weiterhin mit in die Hüfte gestemmten Armen missbilligend beobachtet.
»Auf dem Krankenhausparkplatz.«
»Würdest du mich … ins Zentrum fahren?«
Im ersten Moment würde Alice ihn am liebsten zum Teufel schicken. Dann denkt sie noch einmal darüber nach. »Du bist dermaßen dickschädelig, du würdest schon irgendeine Möglichkeit finden, um hinzukommen, wenn ich dich nicht fahren würde. Also begleite ich dich lieber, so kann ich dich wenigstens im Auge behalten.«
»Also, gehen wir … bevor die zurückkommen.«
Vor der Tür finden sie Agente Ciro Colajanni, der auf seinem Stuhl döst. Die Medikamente wirken, sodass Roberto es schafft, ihn mit fester Stimme anzusprechen.
»Man schläft nicht im Dienst!«
Colajanni reißt die Augen auf, verwirrt durch die plötzliche Rückkehr in die Wirklichkeit.
»Entschuldigen Sie, Signore, ich …«
»Gib mir die Waffe und die Handschellen.«
Die dichten Augenbrauen ziehen sich in einem zweifelnden Ausdruck zusammen.
»Das ist ein Befehl!«
Colajanni gehorcht. Er händigt dem Höherrangigen die Waffe und die Handschellen aus.
»Danke. Noch etwas: Doktor Sassi wird gleich mit dem Chefarzt zurückkommen. Sag ihnen, ich bin ins Bad gegangen. In Ordnung?«
Das ist leicht. Colajanni nickt entschlossen.
»Du bist ein guter Agente, ich werde das Questore Bernini berichten«, lobt er ihn. Die Augen des Mannes glänzen.
Sie gehen so schnell, wie Robertos Zustand es erlaubt, den Flur entlang, also sehr langsam. Dennoch gelingt es ihnen, ungestört die schon vor Betriebsamkeit summende Eingangshalle des Krankenhauses zu durchqueren. Eine Minute später verlässt das Auto den Parkplatz.
2
R oberto bittet Alice, in der Nähe einer Telefonzelle anzuhalten. Er lässt sich von der Auskunft mit Virgilio Aldrovandi verbinden und vereinbart einen neuen Termin wenig später.
Danach schlägt der Wagen in ungewöhnlich moderater Geschwindigkeit über Umgehungsstraßen den Weg in Richtung Zentrum ein. Alice fährt, als würde sie eine Ladung roher Eier transportieren, um zu vermeiden, dass die Erschütterungen Robertos Schmerzen verschärfen.
»Ich bin da«, verkündet er und zeigt auf die Schaufenster des Caffè Maggiore unter dem Bogengang zwischen dem kleinen Platz, auf dem die imponierende Statue von Giambolognas Neptun thront, und dem Palazzo, der das letzte Gefängnis von König Enzio war, dem unglücklichen Sohn von Friedrich II.
» Wir sind da, wolltest du sagen. Ich parke direkt davor, immerhin ist das hier eine Polizeioperation, oder?«
Roberto wird klar, dass es keinen Zweck hat, Einwände zu erheben. Er ist sogar bereit, sich beim Aussteigen helfen zu lassen.
Die Fünfzigerjahre-Einrichtung in dunklem Holz hat sich nicht verändert seit dem letzten Mal, als er hier war, um sein Schicksal von einem anonymen Angestellten umformen zu lassen. Um diese Zeit und an einem Feiertag sitzen vor allem alte Leute an den kleinen Tischchen, die Il Resto
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