Die toten Mädchen von Villette
Weile auszuruhen. Einer der Jungen macht Annäherungsversuche bei Sabrina und erwürgt sie im Bierrausch voller Wut, als sie ihn abweist, und dann beschließen sie gemeinsam, die beiden anderen Mädchen aus dem Weg zu räumen.
Aber warum waren die Mädchen an der Abzweigung nach Givray vorbeigegangen?
– Du denkst an Gregory und Freddy, stimmt’s? sagte Julie. Aber ich weiß nicht, die ganze Szene hatte etwas scheußlich Kaltes, das paßt nicht zu ihnen. Sabrina war so abgefeimt arrangiert, beinah wie eine Schaufensterpuppe, aberPeggy und Nadia lagen da, als hätte er sie einfach fallenlassen, wie Abfall …
Sie erschauerte.
– Die Frage ist, wie sie zum Tatort gekommen sind und warum sie an der Abzweigung nach Givray vorbeigegangen sind. Oder kann sie jemand mitgenommen haben? Ein alter Mann, der nahe am Tatort wohnt, kam, um zu sehen, was los war. Er hatte gegen elf einen grünen Lastwagen gesehen, hat er gesagt. Den müssen wir suchen.
Julie stellte die Kaffeetasse mit einem Knall ab. Martine sah sie erstaunt an.
– Wir sollten vielleicht weitermachen, sagte Christian und legte ein paar Münzen auf den Tisch.
Es war leicht zu sehen, welche Häuser in Givray die Todesnachricht erhalten hatten. In zweien der kleinen Steinhäuser an der Dorfstraße strahlten die Fenster von Licht, wie um unvermeidliche Trauer noch eine Weile auf Distanz zu halten.
»Hier wohnt die Familie Bertrand« stand in weißen Buchstaben auf dem Briefkasten des ersten Hauses, zu dem sie kamen. Unter dem Namen hatte jemand vier Porträts gemalt – Maman, Papa und zwei Mädchen, alle fröhlich lächelnd. Obwohl die Bilder skizzenartig waren, erkannte Martine die beiden Mädchen, die sie gerade im Gras am Fluß tot hatte liegen sehen, wieder.
– Nimm dieses Haus hier, dann nehme ich das andere, schlug Christian vor.
Die Haustür öffnete sich direkt in die Küche. Sie war voll von Menschen. Einer von ihnen war ein weißhaariger Mann in der Uniform der kommunalen Polizei, die anderen vermutlich Nachbarn, die gekommen waren, um Unterstützung anzubieten und Hilfe zu leisten.
Aber man konnte unschwer erkennen, wer die Trauernachricht bekommen hatte. Sie saßen jeder auf seinem Stuhl am Küchentisch, bleich und bewegungslos, abgeschirmt von dem, was rund um sie vor sich ging. Sie waren beide in den Vierzigern. Er trug den orangefarbenen Schutzoverall der Forvil-Arbeiter und hatte die gleichen glatten dunklen Haare und dunklen Augen wie die toten Mädchen. Sie hatte einen blauen wattierten Morgenmantel an und starrte mit großen grauen Augen leer vor sich hin.
– Es tut mir leid, daß wir uns so aufdrängen, sagte Martine, aber wir kommen vom Justizpalast und müssen so schnell wie möglich mit Monsieur und Madame Bertrand sprechen.
Der Inspektor von der kommunalen Polizei kam zu ihnen und schüttelte ihnen die Hand.
– Ich sollte vielleicht die Nachbarn verscheuchen, sagte er leise, außer Doktor Codenys, es ist sicher gut, wenn er hier ist.
Martine nickte, und der Mann hob die Stimme.
– So, liebe Leute, Joël und Mireille sind dankbar für eure Unterstützung in dieser schweren Stunde, sagte er, aber ich glaube, wir sollten jetzt gehen und die Untersuchungsrichterin ihre Arbeit machen lassen.
Die Küche leerte sich rasch. Joël sah die Besucher hoffnungsvoll an.
– Kommen Sie, um zu sagen, daß es ein Irrtum war? sagte er. Es waren nicht Nadia und Peggy, das kann nicht sein …
Mit Angehörigen zu reden ist tausendmal schlimmer als tote Körper zu sehen, dachte Martine.
– Leider, sagte sie, es tut mir schrecklich leid, aber es herrscht wohl kein Zweifel daran. Sie müssen Ihre Töchter zuerst offiziell identifizieren, aber ich glaube, Sie sollten nicht darauf hoffen, daß es ein Irrtum ist.
Zwei dicke Tränen rollten Mireille Bertrand die Wangen hinunter, aber ein dunkler Gastgeberinneninstinkt brachte sie dazu, aufzustehen und in beinah normalem Ton zu sagen:
– Darf ich etwas zu essen anbieten? Ich habe Brote mit Krabbensalat gemacht, damit die Mädchen etwas in den Magen kriegen, wenn sie nach Hause kommen. Sie mögen Krabbensalat so gern …
Ihre Stimme brach, und sie sank wieder auf den Stuhl.
Julie ließ sich auf einem der leeren Stühle nieder und nahm ihren Notizblock heraus. Ihre Augen waren schwarz vor Mitgefühl. Martine lehnte sich an die Wand.
– Es tut mir schrecklich leid, wiederholte sie, ich kann mir nicht einmal vorstellen, was Sie gerade durchmachen. Aber je schneller wir in Gang kommen,
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