Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
die Brust bekomme. Nachdem ich mich umgezogen habe, knülle ich die nasse Kleidung in eine Tüte.
Dann wühle ich in meiner Hosentasche nach der Uhr. Es ist ein teures Analogmodell von Tag Heuer, und es funktioniert noch. Die Batterien einer solchen Uhr halten normalerweise fünf Jahre und sind bis zweihundert Meter wasserdicht. Ich werfe einen Blick auf die Rückseite: keine Inschrift. Trotzdem habe ich jetzt einen ungefähren Zeitrahmen.
Mein Computer ist etwas langsam und scheint mit jedem Jahr eine Minute länger zum Hochfahren zu brauchen. Ich durchforste das Internet nach alten Zeitungsartikeln und grenze mit Hilfe verschiedener Suchmaschinen meine Anfragen ein. Ich überprüfe, ob jemand Särge mehrfach verkauft hat, um Geld damit zu verdienen; doch sollte so etwas in diesem Land passiert sein, ist es nie herausgekommen.
Als ich in dieselben Suchmaschinen den Namen des Friedhofswärters eingebe, stoße ich auf Leute mit gleichem Namen, die in anderen Teilen der Welt ein anderes Leben führen, mit anderen Berufen und Verbrechen, anderer Religion und Bildung. Dann stoße ich auf einen Link, der mich zu einem Zeitungsartikel über den Vater des Friedhofswärters weiterleitet. Nach vierzig Jahren Friedhofsdienst ist er vor zwei Jahren in den Ruhestand gegangen.
In der Zeitungsdatenbank der Christchurch Library studiere ich online die Todesanzeigen und kontrolliere, wer letzte Woche verstorben ist und wessen Beschreibung auf die Frau aus dem Wasser passen könnte. Schließlich habe ich vier Namen, ohne dass ich einen davon streichen könnte, denn die Todesanzeigen machen weder Angaben zum Aussehen noch zum Ort der Beerdigung. Ich frage mich, ob Carl Schroder, der Detective, der dem Gerichtsmediziner erlaubt hat, mit mir zu sprechen, sie bereits identifiziert hat. Wahrscheinlich schon. Kinderspiel, wenn man über die entsprechenden Mittel verfügt. Wahrscheinlich hat er ein Foto ihres toten Körpers an die Bestatter im gesamten Stadtgebiet geschickt; oder noch einfacher, er hat den katholischen Priester auf dem Friedhof einen Blick darauf werfen lassen. Falls sie den Namen der Frau schon kennen, dann sind sie gerade dabei, einen Gerichtsbeschluss zu erwirken, um das Grab auszuheben, aus dem sie entfernt wurde. Ich sehe auf meine Uhr. Nach halb sechs: das bedeutet zwar für alle ein paar Überstunden, aber sie können die Sache heute noch über die Bühne bringen.
Ich setze mein Telefon wieder zusammen und lasse es in meine Tasche gleiten. Normalerweise braucht man von meinem Büro zum Krankenhaus zehn Minuten, doch bei dem dichten Verkehr, dazu eine rote Ampel nach der anderen, brauche ich eine halbe Stunde. Der triste Eindruck, den das Krankenhaus macht, wird durch nichts gemildert, seine Bauweise würde genauso gut zu einem Gefängnis passen. Ich parke auf der Rückseite, gehe zur Tür mit der Aufschrift »Für Unbefugte Zutritt verboten«, sage etwas in die Gegensprechanlage, und einen Moment später springt summend die Tür auf. Ich spüre, wie mir langsam kalt wird, und die Vorstellung von dem Sarg, der gleich vor mir geöffnet wird, kann mich auch nicht aufwärmen. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis der Fahrstuhl endlich eintrifft, und ich frage mich unwillkürlich, aus welchen Tiefen er zu mir emporsteigt. Ich fahre hinunter in den Keller.
Das Leichenschauhaus ist mit weißen Fliesen ausgekleidet, das Licht kalt und hart. Hier unten kommt man sich vor wie auf einem anderen Planeten. Unter Leinentüchern zeichnen sich Umrisse ab, und überall liegen Geräte mit scharfen Kanten herum. Die Luft fühlt sich noch kälter an als das Wasser im See. Es gibt hier Schränkchen voller Flaschen, Chemikalien und silberner Instrumente. Auf Labortischen, Bahren und Tabletts liegen verschiedene Gegenstände, mit denen man einen Körper bis auf seinen Kern zerlegen kann.
In dem weißen Licht hier unten wirkt der Sarg abgenutzter, als wäre er durch die Autofahrt um ein Vierteljahrhundert gealtert. Außerdem ist er kaputt. Über die Seite verlaufen Risse, und der Deckel ist vollständig eingedrückt. Man hat das ganze Ding vor dem Transport zwar abgebürstet, aber nicht gesäubert. An den Ecken kleben Erde und Schlamm, und es gibt Spuren von Rost. Der Sarg steht auf einem kniehohen Tisch, so dass sich der Deckel ein wenig unter Brusthöhe befindet.
Ich balle die Hände zu Fäusten und versuche vergeblich, mir die Kälte vom Leib zu halten. Die Kopfschmerzen sind jetzt mein ständiger Begleiter; das Pochen wechselt
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