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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Gottes Kopjeikin mit dem Feldjäger auf einen Bauernwagen gesetzt. ›Na‹, denkt er, ›wenigstens brauche ich kein Fahrgeld zu bezahlen; auch dafür bin ich dankbar.‹ Er fährt also mit dem Feldjäger, mein Herr, und wie er so mit dem Feldjäger fährt, da überlegt er gewissermaßen sozusagen bei sich: ›Gut‹, sagt er, ›du hast gesagt, ich möchte mir selbst die Mittel beschaffen und mir helfen; gut‹, sagt er, ›ich werde mir die Mittel beschaffen!‹ Na, wie er nun nach seiner Heimat transportiert wurde, und wohin er eigentlich gebracht wurde, das ist weiter nicht bekannt. Die Gerüchte über den Hauptmann Kopjeikin sind in den Strom der Vergessenheit versunken, in den Lethestrom, wie sich die Dichter ausdrücken. Aber erlauben Sie, meine Herren, gerade hier beginnt sozusagen der Knoten des Romans sich zu schürzen. Also, wo Kopjeikin blieb, das ist unbekannt; aber es waren, Sie können sich das vorstellen, nicht zwei Monate vergangen, als in den Wäldern von Rjasan eine Räuberbande erschien, und der Anführer dieser Räuberbande, mein Herr, war kein anderer …«

    »Aber erlaube mal, Iwan Andrejewitsch«, unterbrach ihn auf einmal der Polizeimeister, »dem Hauptmann Kopjeikin fehlte ja, wie du selbst gesagt hast, ein Arm und ein Bein; Tschitschikow aber …«
    Hier schrie der Postmeister auf, schlug sich, weit ausholend, mit der Hand vor die Stirn und nannte sich öffentlich vor aller Ohren ein Rindvieh. Er konnte gar nicht begreifen, daß ihm dieser Umstand nicht gleich am Anfang der Erzählung aufgefallen war, und gestand die völlige Richtigkeit des Sprichwortes zu: »Der Russe ist immer erst hinterher klug.« Indessen, einen Augenblick darauf versuchte er schon, sich auf schlaue Weise herauszuwickeln, indem er sagte, in England sei die Mechanik sehr vervollkommnet; aus den Zeitungen sei zu ersehen, daß jemand hölzerne Beine erfunden habe, derart, daß bei der bloßen Berührung einer kaum wahrnehmbaren Feder diese Beine den Menschen Gott weiß wohin trügen, so daß er nachher gar nicht mehr zu finden sei.
    Aber alle bezweifelten stark, daß Tschitschikow der Hauptmann Kopjeikin sei, und fanden, daß der Postmeister denn doch gar zu sehr danebengehauen hatte. Übrigens wollten sie es ihrerseits auch nicht an sich fehlen lassen und gingen, durch die scharfsinnige Vermutung des Postmeisters verführt, beinahe noch weiter. Unter den vielen, in ihrer Art geistreichen Vermutungen befand sich auch eine, die man nur mit Kopfschütteln wiedergeben kann: ob nicht Tschitschikow der verkleidete Napoleon sei; England sei schon lange auf Rußland wegen seiner Macht und Ausdehnung neidisch; es seien sogar schon mehrmals Karikaturen erschienen, bei denen ein Russe im Gespräch mit einem Engländer dargestellt sei: der Engländer steht da und hält hinter sich einen Hund am Stricke; mit dem Hunde ist Napoleon gemeint, und der Engländer sagt: »Nimm dich in acht; wenn du nicht so tust, wie ich will, dann lasse ich sofort diesen Hund gegen dich los.« Und jetzt habe England ihn vielleicht von St. Helena losgelassen, und er ziehe jetzt, als Tschitschikow verkleidet, durch Rußland, während er doch in Wirklichkeit gar nicht Tschitschikow sei.
    Diese Vermutung für wahr zu halten, dazu konnten sich die Beamten allerdings nicht entschließen; aber sie dachten doch darüber nach, und während jeder die Sache für sich überlegte, fanden sie, daß Tschitschikows Gesicht, von der Seite betrachtet, mit Napoleons Porträt große Ähnlichkeit habe. Der Polizeimeister, der im Feldzuge von 1812 gedient und Napoleon persönlich gesehen hatte, mußte ebenfalls zugeben, daß er an Wuchs nicht größer als Tschitschikow und an Gestalt ebenso wie dieser weder allzu dick noch auch gerade dünn sei. Vielleicht werden manche Leser dies alles als unwahrscheinlich bezeichnen, und der Verfasser ist ebenfalls ihnen zu Gefallen bereit, dies zu tun; aber seltsamerweise spielte sich alles gerade so ab, wie es hier erzählt wird, und es ist das um so erstaunlicher, da die Stadt keineswegs von der Kultur abgeschieden lag, sondern vielmehr nicht weit von beiden Hauptstädten entfernt. Übrigens muß daran erinnert werden, daß alles dies sich bald nach der ruhmwürdigen Vertreibung der Franzosen zutrug. In dieser Zeit waren alle unsere Gutsbesitzer, Beamten. Kaufleute, Kommis und jeder, der lesen konnte, ja auch mancher, der es nicht konnte, mindestens acht Jahre lang enragierte Politiker geworden. Die »Moskauer Nachrichten« und der

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