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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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belassen – das war alles. Also in solcher Lage befand sich unser Held auf einmal wieder, nachdem sich dieses furchtbare Ungewitter über seinem Haupte entladen hatte. Er nannte das: im Staatsdienst für Wahrheit und Recht leiden. Man hätte nun meinen können, er würde sich nach solchen Stürmen, Versuchungen, Wandlungen des Glückes und Schicksalsschlägen mit den ihm verbliebenen zehntausend Rubeln in irgendein friedliches, kleines Kreisstädtchen zurückgezogen, dort lebenslänglich in seinem baumwollenen Schlafrock am Fenster eines niedrigen Häuschens gesessen, sonntags der Prügelei der Bauern vor seinen Fenstern zugesehen haben oder zur Unterhaltung in den Hühnerstall gegangen sein, um persönlich das zur Suppe in Aussicht genommene Huhn zu befühlen, und in dieser Weise ein zwar stilles, aber in seiner Art ebenfalls nicht nutzloses Leben geführt haben. Aber es kam anders. Man muß seiner nicht niederzuzwingenden Charakterstärke Gerechtigkeit widerfahren lassen. Nach all diesen Erlebnissen, die ausgereicht hätten, einen anderen Menschen wenn nicht umzubringen, so doch für immer still und zahm zu machen, war bei ihm sein lebhaftes Temperament immer noch nicht zur Ruhe gekommen. Er war bekümmert und ärgerlich, schimpfte auf die ganze Welt, murrte über die Ungerechtigkeit des Schicksals, war empört über die Ungerechtigkeit der Menschen, vermochte aber dennoch nicht auf neue Versuche zu verzichten. Kurz, er bewies eine Geduld, gegen welche die hölzerne Geduld des Deutschen nichts ist, die schon in seinem langsamen, trägen Blutumlauf ihren Grund hat. Tschitschikows Blut dagegen wallte lebhaft, und es bedurfte einer großen, verständigen Willenskraft, um all das im Zaum zu halten, was da herausspringen und sich frei ergehen wollte. Er überlegte, und in seinen Überlegungen steckte ein gut Stück Wahrheit: »Warum muß das gerade mir widerfahren? Warum ist gerade über mich das Unglück hereingebrochen? Wer legt denn heutzutage im Dienst die Hände in den Schoß? Alle erwerben sie sich doch etwas. Und ich habe niemanden unglücklich gemacht: ich habe keine Witwe beraubt, habe niemanden an den Bettelstab gebracht; ich habe mir nur fremden Überfluß zunutze gemacht; ich habe da genommen, wo jeder genommen hätte; hätte ich es mir nicht zunutze gemacht, so hätten es andere getan. Warum sollen denn andere ein gemächliches Leben führen und ich wie ein Wurm zugrunde gehen? Und was bin ich jetzt? Wozu tauge ich noch? Mit welchen Augen kann ich jetzt einem achtbaren Familienvater in die Augen sehen? Muß ich nicht Gewissensbisse fühlen, wenn ich mir bewußt bin, daß ich zwecklos die Erde belaste? Und was werden später einmal meine Kinder sagen? ›Da sieht man’s‹, werden sie sagen, ›unser Vater war ein Rindvieh; er hat uns kein Vermögen hinterlassen.‹«
    Es ist bereits bekannt, daß sich Tschitschikow große Sorge um seine Nachkommenschaft machte. Das ist ein sehr zarter Punkt! Mancher hätte vielleicht nicht so tief in fremdes Eigentum hineingegriffen, wenn es nicht die Frage gäbe, die sich eigentümlicherweise immer von selbst aufdrängt: »Was werden meine Kinder sagen?« Und da macht es der künftige Stammvater wie eine vorsichtige Katze, die zunächst mit einem Auge seitwärts schielt, ob auch der Hausherr nichts sieht, und dann eilig alles ergreift, was in ihrer Nähe ist, mag nun da ein Stück Seife liegen oder ein paar Lichte oder ein Stück Speck, oder mag ihr der Kanarienvogel in die Pfoten fallen; kurz, nichts läßt sie unangerührt. So beklagte sich unser Held; aber dabei war die Tätigkeit in seinem Kopfe keineswegs zur Ruhe gekommen; dort war eine große Unternehmungslust vorhanden und wartete nur auf einen Plan. Von neuem machte er sich klein; von neuem schickte er sich an, ein mühevolles Leben zu führen; von neuem legte er sich alle möglichen Beschränkungen auf; von neuem stieg er aus reinlichen, anständigen Verhältnissen in den Schmutz und zu einem unwürdigen Leben hinab. Und in Erwartung von etwas Besserem sah er sich sogar genötigt, den Beruf eines Sachwalters auszuüben, einen Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bürgerrecht erworben hat, und dessen Vertreter von allen Seiten rauh angelassen, von dem niedrigeren Beamtenpersonal und sogar von ihren eigenen Mandanten geringgeschätzt werden und dazu verurteilt sind, in den Vorzimmern herumzusitzen und alle möglichen Grobheiten zu ertragen; aber die Not zwang ihn, sich zu allem zu entschließen. Unter anderen

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