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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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wog und maß gar nicht; er erkannte schon an der Faktur, wieviel Ellen Tuch oder anderer Stoff in einem Stück enthalten waren; wenn er ein Kollo in die Hand nahm, konnte er sofort sagen, wieviel Pfund es schwer war. Was aber die Leibesvisitationen anlangte, so besaß er hierbei, wie sich sogar seine Kollegen selbst ausdrückten, geradezu eine Hundenase: man mußte geradezu erstaunen, wenn man sah, wie er Geduld genug hatte, jeden Knopf zu betasten; und all dies vollzog sich mit einer empörenden, unglaublich höflichen Kaltblütigkeit. Und während die Visitierten innerlich wüteten, ganz außer sich waren und ein schändliches Verlangen verspürten, sein hübsches, freundliches Gesicht zu maulschellieren, sagte er nur, ohne eine Miene zu verziehen und ohne sein höfliches Benehmen zu verändern: »Ist es Ihnen vielleicht gefällig, sich ein wenig zu bemühen und aufzustehen?«; oder: »Ist es Ihnen vielleicht gefällig, gnädige Frau, in das andere Zimmer einzutreten? Die Gattin eines unserer Beamten wird dort mit Ihnen sprechen«; oder: »Gestatten Sie, daß ich das Unterfutter Ihres Mantels ein wenig mit dem Federmesser auftrenne!« Und bei diesen Worten zog er von dort Schals und Tücher heraus, so kaltblütig, als ob er sie aus seinem eigenen Koffer herausnähme. Sogar seine Vorgesetzten erklärten, er sei ein Teufelskerl; er fand Konterbande in den Wagenrädern, in den Deichseln, in den Ohren der Pferde und noch an wer weiß welchen anderen Stellen, wo zu suchen dem Verfasser nie in den Sinn kommen würde, und wohin einzudringen nur den Zollbeamten gestattet ist, so daß der arme Reisende nach dem Passieren der Grenze noch mehrere Minuten lang nicht zur Besinnung kommen konnte, sich dann den Schweiß abwischte, der ihm am ganzen Leibe in kleinen Tröpfchen aus der Haut getreten war, sich bekreuzte und sagte: »Na, so was!« Seine Situation hatte große Ähnlichkeit mit der eines Schülers, der aus dem Privatkabinett des Direktors herauskommt, wohin ihn dieser gerufen hat, anscheinend um ihn zu ermahnen, wo er ihn aber ganz unerwarteter Weise durchgehauen hat. In kurzer Zeit hatte er den Schmugglern das Leben ganz verbittert. Er war der Schrecken und die Verzweiflung der gesamten polnischen Judenschaft. Seine Redlichkeit und Unbestechlichkeit waren unerschütterlich, beinah unnatürlich. Er bildete sich nicht einmal eine kleine Sammlung von solchen diversen konfiszierten Waren und sonstigen beschlagnahmten Gegenständen, die, um unnötige Schreiberei zu vermeiden, dem Fiskus nicht zugeführt zu werden pflegten. Ein derartiger uneigennütziger Diensteifer mußte mit Notwendigkeit der Gegenstand allgemeiner Bewunderung werden und zuletzt auch zur Kenntnis der Regierung gelangen: er erhielt einen höheren Rang und eine Beförderung. Unmittelbar darauf reichte er einen Plan zur Abfassung aller Schmuggler ein und erbat sich nur die nötigen Mittel, um die Sache selbst auszuführen. Es wurde ihm sofort die Leitung übertragen und die unbegrenzte Befugnis verliehen, alle erforderlichen Untersuchungen vorzunehmen. Das hatte er nur gewollt. Es hatte sich zu jener Zeit eine große, trefflich organisierte Schmugglergesellschaft gebildet; das kühne Unternehmen versprach, einen sich auf Millionen belaufenden Gewinn abzuwerfen. Er hatte schon lange davon Kenntnis und hatte sogar den Abgesandten der Gesellschaft, die ihn bestechen sollten, eine abschlägige Antwort erteilt, indem er ihnen trocken sagte: »Es ist noch nicht Zeit.« Sobald ihm aber von der Regierung alles zur Verfügung gestellt war, ließ er der Gesellschaft unverzüglich die Mitteilung zugehen: »Jetzt ist es Zeit.« Seine Rechnung war ganz richtig. Hier konnte er in einem Jahre so viel gewinnen, wie er in zwanzig Jahren eifrigster Diensttätigkeit nicht hätte erwerben können. Vorher aber hatte er mit der Schmugglergesellschaft deswegen nicht in Beziehung treten mögen, weil er damals nur eine untergeordnete Stellung einnahm, folglich auch nicht viel erhalten hätte; aber jetzt … jetzt lag die Sache ganz anders: jetzt konnte er die Bedingungen stellen, die ihm beliebten. Um die unbehinderte Abwicklung der Sache noch mehr zu sichern, gewann er noch einen anderen Beamten, einen seiner Kollegen, für sich, der der Versuchung nicht widerstehen konnte, obwohl er schon graue Haare hatte. Die Vertragsbedingungen wurden festgesetzt, und die Gesellschaft schritt zur Ausführung ihrer Pläne. Die ersten Unternehmungen hatten einen glänzenden Erfolg. Der Leser hat

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