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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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und bereit zu Gemeinheiten, vor denen sie früher zurückgeschreckt wäre.
    Noch eine andere Anklage wird gegen den Verfasser von seiten der sogenannten Patrioten erhoben, die ruhig in ihren Winkeln sitzen, sich mit ganz anderen Dingen beschäftigen, sich Kapitalien aufsammeln und sich ein behagliches Leben auf Kosten anderer zurechtzimmern; aber sowie nur etwas geschieht, was nach ihrer Meinung für das Vaterland kränkend ist, sowie z.B. ein Buch erscheint, in dem stellenweise die nackte Wahrheit gesagt wird, kommen sie aus allen Winkeln herausgelaufen wie Spinnen, welche sehen, daß sich eine Fliege in ihr Netz verstrickt hat, und erheben sofort ein großes Geschrei: »Ist es gut, dergleichen ans Licht zu bringen und davon öffentlich zu reden? All das, was da geschildert wird, ist doch ein Teil unseres eigenen Selbst; ist da ein solches Verfahren zu loben? Und was werden die Ausländer dazu sagen? Ist es denn angenehm, bei anderen in schlechten Ruf zu kommen? Sie werden denken, das gehe uns nicht nahe, und wir seien keine Patrioten.« Auf solche weisen Bemerkungen, besonders auf das über die Ausländer Gesagte, habe ich, offen gestanden, nichts zu antworten. Oder höchstens folgendes: In einer abgelegenen Ecke Rußlands wohnten zwei Personen. Die eine war ein Familienvater namens Kifa Mokijewitsch, ein Mann von sanftem Charakter, der ein lässiges, bequemes Leben führte. Um seine Familie kümmerte er sich nicht; sein Wesen neigte mehr nach der kontemplativen Seite; so beschäftigte er sich mit folgender Frage, die er eine philosophische nannte: »Da ist zum Beispiel das vierfüßige Tier«, sagte er, im Zimmer auf und ab gehend, »das vierfüßige Tier wird nackt geboren. Warum denn gerade nackt? Warum nicht so wie der Vogel: warum kriecht es nicht aus dem Ei? Wirklich, hm … je mehr man sich in die Natur vertieft, um so weniger versteht man sie!« So philosophierte Kifa Mokijewitsch. Aber das ist noch nicht der Kern der Sache. Die andere Person war Moki Kifowitsch, sein Sohn. Er war das, was man einen Kraftmenschen nennt, und während sich sein Vater mit der Geburt des vierfüßigen Tieres beschäftigte, drängte sein zwanzigjähriger, breitschulteriger Körper geradezu danach, sich zu betätigen. Er verstand absolut nicht, etwas sachte anzufassen: mit wem er sich abgab, dem wurde entweder der Arm verrenkt, oder es schwoll ihm eine Beule auf der Nase auf. Im Hause und in der Nachbarschaft liefen alle, von der Gutsmagd bis zum Hofhunde, davon, sobald sie ihn erblickten; sogar sein eigenes Bett in der Schlafstube zerbrach er in Stücke. Aber der Kern der Sache ist folgendes: »Erbarme dich, gnädiger Herr, Väterchen Kifa Mokijewitsch«, sagte zum Vater dessen eigenes sowie auch fremdes Gesinde, »wie treibt es dein Sohn Moki Kifowitsch? Kein Mensch hat vor ihm Ruhe, so setzt er allen zu!« – »Ja, mutwillig ist er, mutwillig ist er«, erwiderte der Vater gewöhnlich darauf, »aber was soll ich machen? Ihn zu prügeln, dazu ist es zu spät, und es würden mich auch alle übermäßiger Härte beschuldigen; er aber ist ein Mensch mit empfindlichem Ehrgefühl; mache ich ihm im engsten Kreise einen Vorwurf, so wird er sich ruhig verhalten; aber das Kundbarwerden, das ist der Schade! Die Stadt wird es erfahren und ihn einen Rüpel nennen. Was werden sie sich denken: daß es mir nicht nahe geht? Daß ich nicht sein Vater bin? Weil ich mich mit der Philosophie beschäftige und manchmal keine Zeit habe, bin ich darum nicht sein Vater? Nein doch, nein, ich bin sein Vater, ich bin sein Vater, hol sie der Teufel, ich bin sein Vater! Moki Kifowitsch sitzt mir tief hier im Herzen!« Hier schlug sich Kifa Mokijewitsch sehr kräftig mit der Faust gegen die Brust und wurde ordentlich hitzig. »Wenn er nun einmal ein Rüpel bleiben soll, dann soll man es wenigstens nicht durch mich erfahren; ich wenigstens will ihn nicht verraten!« Nachdem er eine so väterliche Gesinnung bekundet hatte, ließ er Moki Kifowitsch weiter seine reckenhaften Taten ausüben; er selbst aber wandte sich von neuem seinem Lieblingsgegenstande zu, indem er sich auf einmal eine Frage folgender Art vorlegte: »Na, wenn nun der Elefant aus einem Ei auskröche, dann würde wohl die Schale so dick sein, daß man sie mit einer Kanone nicht entzweischießen könnte; man muß eine neue Schußwaffe erfinden.« So verbrachten ihr Leben die beiden Bewohner jenes friedlichen Winkelchens, welche unerwartet am Ende unserer bisherigen Erzählung wie aus einem

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