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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Fensterchen herausgeschaut haben, um bescheiden auf die Anklage von seiten einiger glühender Patrioten zu antworten, die einstweilen sich ruhig damit beschäftigen, zu philosophieren und sich auf Kosten des von ihnen zärtlich geliebten Vaterlandes zu bereichern, und nicht sowohl darauf bedacht sind, nichts Schlechtes zu tun, sondern auch darauf, daß nur ja niemand sage, sie täten etwas Schlechtes. Aber nein, nicht Patriotismus und nicht jenes erste Gefühl sind die Ursachen dieser Anschuldigungen; es steckt etwas anderes dahinter. Warum soll ich daraus ein Geheimnis machen? Wer hätte die Pflicht, die heilige Wahrheit zu sagen, wenn sie nicht der Schriftsteller hat? Ihr fürchtet den tief in euer Inneres eindringenden Blick; ihr scheut euch, selbst auf etwas einen prüfenden Blick zu richten; ihr gleitet gern über alles mit gedankenlosen Augen hinweg. Ihr lacht sogar vielleicht von Herzen über Tschitschikow, lobt vielleicht sogar den Verfasser und sagt: »Einzelnes hat er aber doch ganz geschickt beobachtet! Er muß ein Mann von heiterer Gemütsart sein!« Und nach diesen Worten wendet ihr euch mit verdoppeltem Stolze an euch selbst; ein selbstzufriedenes Lächeln zeigt sich auf eurem Gesichte, und ihr fügt hinzu: »Aber das muß man zugeben, in einigen Provinzen gibt es recht seltsame, komische Menschen, die dabei auch recht arge Schurken sind!« Aber wer von euch wird sich voll christlicher Demut, nicht laut, sondern in der Stille, allein, in Augenblicken einsamen Selbstgespräches, in seiner eigenen Seele die peinliche Frage vorlegen:
    »Aber steckt nicht vielleicht auch in mir so ein Stückchen Tschitschikow?« Fällt niemandem ein! Aber wenn an ihm ein Bekannter von nicht besonders hohem und nicht besonders niedrigem
    Range vorbeigeht, dann wird der Betreffende sofort seinen Begleiter anstoßen und beinah prustend vor Lachen zu ihm sagen: »Sieh mal, sieh mal: da ist Tschitschikow, da geht Tschitschikow!« Und dann wird er, allen Respekt, den er dem Stande und den Jahren desselben schuldig ist, vergessend, wie ein Kind hinter ihm herlaufen, ihn vom Rücken her verhöhnen und ihm nachrufen: »Tschitschikow, Tschitschikow, Tschitschikow!«
    Aber wir haben angefangen, ziemlich laut zu reden, und haben vergessen, daß unser Held, der während der ganzen Erzählung seiner Lebensgeschichte geschlafen hat, bereits aufgewacht ist und leicht seinen so oft wiederholten Familiennamen gehört haben kann. Er ist aber empfindlich und nimmt es übel, wenn man von ihm respektlos spricht. Dem Leser kann es ja allerdings gleichgültig sein, ob Tschitschikow auf ihn ärgerlich ist oder nicht; aber was den Verfasser anlangt, so darf er sich mit seinem Helden unter keinen Umständen überwerfen, denn er muß mit demselben noch eine weite Strecke Weges Arm in Arm gehen; zwei große Teile liegen noch vor uns: das ist keine Kleinigkeit.
    »He, he! Was machst du denn?« rief Tschitschikow seinem Kutscher zu. »Du! …«
    »Was?« fragte Selifan langsam.
    »Wie kannst du noch fragen? Du Dämlack! Wie fährst du denn? Vorwärts! Fahr zu!«
    Und in der Tat fuhr Selifan schon längere Zeit mit zugekniffenen Augen, indem er nur selten im Halbschlaf die Zügel über dem Rücken der ebenfalls schlummernden Pferde schüttelte; dem schlafenden Petruschka aber war schon längst irgendwo die Mütze vom Kopfe geflogen, und er selbst war zurückgesunken und stieß mit dem Kopfe auf Tschitschikows Knie, so daß dieser ihm ein paar Nasenstüber geben mußte. Selifan wurde munter und versetzte dem Schecken ein paar Peitschenhiebe über den Rücken, worauf dieser sich in leichten Trab setzte, und die Peitsche über alle schwingend, rief er mit hoher, singender Stimme: »Nur immer guten Mutes!« Die Pferde lebten auf und trugen die leichte Britschke wie eine Feder dahin. Selifan schwenkte nur die Peitsche und schrie: »He! he! he!« indem er, sich wiegend, immer auf dem Bocke ein wenig aufhüpfte, je nachdem ob der Wagen auf einen der Höcker, mit denen die kaum merklich abwärtsführende Landstraße ganz übersät war, hinauf- oder schnell wieder hinunterjagte. Tschitschikow lächelte nur, während er, auf seinem Lederkissen sitzend, auf und ab flog; denn er liebte das schnelle Fahren. Und welcher Russe liebt das schnelle Fahren nicht? Wie sollte seine Seele, die immer nach dem Gefühle des Schwindels und Taumels verlangt und gern manchmal sagt: »Hol alles der Teufel!«, wie könnte seine Seele das schnelle Fahren nicht lieben? Es nicht lieben,

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