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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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wie durch ein Wunder noch von der Axt verschont geblieben war. Ein Fluß, der sich treulich in seinen Ufern hielt, machte die Knicke und Biegungen mit dem Bergzuge mit; nur manchmal entfernte er sich von ihm in die Wiesen hinein, um, nachdem er dort einige Windungen ausgeführt und wie Feuer in der Sonne geglänzt hatte, in Hainen von Birken, Espen und Erlen zu verschwinden und triumphierend wieder von dort zu entrinnen, begleitet von Brücken, Mühlen und Dämmen, die gleichsam bei jeder Biegung hinter ihm her waren.
    An einer Stelle war der steile Abhang der Bergkette besonders dicht mit grünem Laubwerk bekleidet. Durch künstliche Anpflanzung hatte sich hier dank der Ungleichmäßigkeit einer Schlucht die Vegetation des Nordens mit der des Südens zusammengefunden. Eiche, Tanne, Holzbirnbaum, Ahorn, Kirsche und Schlehdorn, Erbsenstrauch und Eberesche, von Hopfen umsponnen, kletterten, bald einander im Wachstum fördernd, bald sich gegenseitig erstickend, den ganzen Berg von unten nach oben hinauf. Oben, auf dem Scheitel des Berges, mischten sich mit den grünen Wipfeln der Gewächse die roten Dächer der Gutsgebäude, die Giebelbalken und Dachkämme der dahinter versteckten Bauernhäuser und der Oberbau des Herrschaftshauses mit einem geschnitzten Balkon und einem großen, halbrunden Fenster. Und über dieses ganze Gewimmel von Bäumen und Dächern ragte noch weit hinaus die altertümliche Dorfkirche mit ihren fünf vergoldeten, funkelnden Kuppeln. Auf all diesen Kuppeln standen goldene, durchbrochene Kreuze, von goldenen, durchbrochenen Ketten gehalten, so daß es von weitem so aussah, als hinge da etwas Goldenes ohne Stütze in der Luft und funkle wie Dukaten. Und all dies spiegelte sich in umgekehrter Gestalt, mit den Wipfeln, Dächern und Kreuzen nach unten, gar hübsch in dem Flusse, wo unförmig hohle Weidenbäume teils am Ufer teils ganz im Wasser standen, ihre Blätter und Zweige in das von schlüpfrigem Flußschwamm und gelben schwimmenden Teichrosen erfüllte Wasser hineinhängen ließen und dieses wunderbare Bild zu betrachten schienen.
    Dieses Bild war sehr schön; aber der Blick von oben herunter, von dem Obergeschoß des Hauses auf die weite Ferne, war noch schöner. Kein Gast und Besucher, der auf dem Balkon stand, konnte dabei gleichgültig bleiben. Das Erstaunen benahm ihm den Atem, und er konnte nur ausrufen: »O Gott, was für ein weiter Blick!« Endlos und grenzenlos erschloß sich der Raum vor dem Beschauer: hinter den mit kleinen Hainen und Wassermühlen besäten Wiesen zogen sich in Form mehrerer grüner Gürtel Wälder hin; hinter den vordersten Wäldern erblickte man durch die dort schon dunstig werdende Luft eine gelbe Sandfläche und dann wieder Wälder, die bereits eine bläuliche Färbung hatten wie ein Meer oder wie ein in der Ferne sich ausbreitender Nebel, und dann wieder Sand, der blasser, aber immer noch gelblich aussah. Am fernen Horizonte zog sich der Kamm eines Kreidegebirges hin, das selbst bei feuchtem Wetter weiß glänzte, wie wenn es von ewigem Sonnenlichte bestrahlt würde. Von der blendenden Weiße dieses Gebirges hoben sich an seinem unteren Teile, der stellenweise aus Gips bestand, dunstige, neblige Flecke ab. Dies waren ferne Dörfer, aber die konnte kein menschliches Auge mehr unterscheiden. Nur ein bei Sonnenschein aufleuchtender Funke, die vergoldete Spitze einer Kirchenkuppel, ließ erkennen, daß dort eine große, bevölkerte Ansiedlung lag. Über alledem aber breitete sich eine tiefe Stille aus, die nicht einmal durch die kaum an das Ohr dringenden Vogelstimmen gestört wurde, da diese sich in dem weiten Raume verloren. Kurz, der Gast, der auf dem Balkon stand, konnte auch nach mehrstündiger Betrachtung nichts anderes sagen als: »O Gott, was für ein weiter Blick!«
    Wer aber war der Bewohner und Besitzer dieses Dorfes, zu dem, wie zu einer unnahbaren Festung, man von dieser Seite nicht einmal heranfahren konnte, sondern dem man sich von der anderen Seite her nähern mußte, wo verstreut stehende Eichen den herbeifahrenden Gast freundlich begrüßten, indem sie ihm ihre breit ausladenden Äste wie Freundesarme entgegenstreckten und ihn zu der Front eben jenes Hauses hingeleiteten, dessen oberen Teil wir von der Rückseite aus gesehen haben, und das nun frei dastand, flankiert auf der einen Seite von einer Reihe von Bauernhäusern, die uns schon ihre Dachkämme und geschnitzten Giebelbalken gezeigt haben, und auf der anderen Seite von der Kirche mit den

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