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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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nicht leicht zu finden. Nein, selbst in den sinnlosen Jahren, wo man sich sinnlos hingerissen fühlt, kommt kaum je eine so starke, unauslöschliche Leidenschaft vor, wie es die Liebe zu ihm war. Bis zu ihrem Grabe, bis zu ihren letzten Lebenstagen erhoben die dankbaren Zöglinge am Geburtstage ihres herrlichen Erziehers die Gläser, schlossen die Augen und vergossen in der Erinnerung an ihn Tränen. Das geringste Lob von seiner Seite ließ den Schüler vor Freude erzittern und erweckte bei ihm das ehrgeizige Verlangen, es allen zuvorzutun. Die wenig Befähigten hielt er nicht lange zurück, für diese war bei ihm nur ein kurzer Kursus bestimmt; die Befähigten aber mußten bei ihm einen doppelten Kursus durchmachen. Und gar die letzte Klasse, in die er nur ganz Auserwählte übergehen ließ, hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit den Klassen, wie sie an anderen Lehrinstituten bestehen. Erst hier verlangte er von dem Zögling alles das, was manche Lehrer unvernünftigerweise schon von den Kindern verlangen: jenen höheren Verstand, der es versteht, nicht zu spotten, wohl aber jeden Spott zu ertragen, den Narren laufen zu lassen, über fremde Dummheit sich nicht aufzuregen und außer sich zu geraten, sich nie zu rächen und in stolzer, unerschütterlicher Seelenruhe zu verharren; und alle Mittel, die dazu geeignet sind, jemand zu einem festen Manne heranzubilden, wurden hier zur Anwendung gebracht, und er selbst stellte mit seinen Zöglingen fortwährend Proben an. O, wie gut kannte er die Wissenschaft des Lebens!
    Lehrer hatte dieser Direktor nicht viele zu seiner Hilfe. In den meisten Lehrgegenständen unterrichtete er selbst. Ohne pedantische Terminologie und hochmütige Theorien verstand er es, den eigentlichen Gehalt einer jeden Wissenschaft den Schülern zu übermitteln, so daß selbst den jüngeren unter ihnen klar wurde, wozu sie diese Wissenschaft nötig hatten. Er wählte von den Wissenschaften diejenigen aus, welche dazu dienen konnten, jemanden zu einem brauchbaren Bürger seines Landes zu machen. Der Unterricht bestand zum größten Teil aus Mitteilungen über das, was den Jüngling in der Zukunft erwartete, und er verstand es, diesem den ganzen Horizont seiner künftigen Laufbahn so zu zeigen, daß der Jüngling, während er noch auf der Schulbank saß, in Gedanken und im Geiste sich bereits dort, im Staatsdienste, befand. Er verheimlichte ihnen nichts: alle Kränkungen und Hemmnisse, die dem Menschen auf seinem Lebenswege begegnen können, alle Versuchungen und Verführungen, die ihm bevorstehen, stellte er ihnen in voller Nacktheit vor Augen. Auf allen Gebieten wußte er Bescheid, wie wenn er selbst in allen Berufen und Ämtern tätig gewesen wäre. Ob es nun daher kam, daß der Ehrgeiz schon stark entwickelt war, oder daher, daß schon in dem bloßen Blicke dieses außerordentlichen Direktors etwas lag, was zu dem Jüngling »Vorwärts!« sagte, dieses dem Russen so bekannte Wort, das eine so wunderbare Wirkung auf sein feinfühliges Wesen ausübt: genug, der Jüngling suchte gleich von vornherein die Schwierigkeiten geradezu auf, eifrig bemüht, gerade dort tätig zu sein, wo es schwer war, wo es die meisten Hindernisse gab, wo man am meisten seelische Kraft beweisen mußte. Nur wenige waren es, die diesen Kursus ganz absolvierten; aber diese waren dafür auch stark und fest geworden und hatten sozusagen schon im Kampfe gestanden. Im Dienste harrten sie dann an den gefährlichsten Stellen aus, während viele andere, selbst solche, die klüger sein mochten als sie, es nicht aushielten, sondern entweder um kleiner Unannehmlichkeiten willen alles hinwarfen oder matt und lässig wurden und in die Hände ihrer bestechlichen, betrügerischen Untergebenen gerieten. Aber jene Gefeiten wankten nicht, und da sie das Leben und den Menschen kannten und weise geworden waren, so übten sie sogar auf schlechte Menschen einen starken Einfluß aus.
    Das feurige Herz des ehrgeizigen Knaben pochte schon lange vorher heftig bei dem bloßen Gedanken daran, daß auch er endlich in diese Abteilung aufrücken werde. Für unseren Tentetnikow schien es gar nichts Besseres geben zu können als diesen Erzieher! Aber gerade als er in diese Selekta versetzt war, wonach er sich so sehr gesehnt hatte, mußte der unvergleichliche Direktor eines frühen Todes sterben! Das war für Tentetnikow ein schwerer Schlag, ein erster, furchtbarer Verlust! Es schien ihm, als sei sein ganzes Leben zerstört. In der Schule änderte sich alles.

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