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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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funkelnden goldenen Kreuzen und dem funkelnden goldenen durchbrochenen Zierat der in der Luft hängenden Ketten. Welchem Glücklichen gehörte dieses stille Winkelchen?
    Es gehörte einem Gutsbesitzer im Kreise Tremalachansk namens Andrei Iwanowitsch Tentetnikow; dieser Glückliche war ein junger Mann von dreiunddreißig Jahren und überdies unverheiratet.
    Wer war er, und was war er, und was besaß er für einen Charakter und was für Fähigkeiten? Darüber werden wir uns bei seinen Nachbarn erkundigen müssen, verehrte Leserinnen, bei seinen Nachbarn. Ein solcher Nachbar, der zu der jetzt schon ganz im Aussterben begriffenen Gattung gewandter, bildungseifriger Stabsoffiziere a.D. gehörte, äußerte sich über ihn kurz folgendermaßen: »Ein richtiges Rindvieh!« Ein General, der zehn Werst von ihm entfernt wohnte, sagte: »Der junge Mensch ist nicht dumm, aber er hat zu viel Torheiten im Kopf. Ich könnte ihm nützlich sein, denn ich habe allerlei Konnexionen in Petersburg und sogar bei …« Der General sprach den Satz nicht zu Ende. Der Bezirkshauptmann gab seiner Antwort diese Form: »Ich will ihm doch gleich morgen mal wegen der rückständigen Steuern einen Besuch machen!« Und ein Bauer aus seinem Dorfe gab auf die Frage, was ihr Herr für ein Mensch sei, überhaupt keine Antwort; er mußte also wohl eine ungünstige Meinung von ihm haben.
    Wenn wir unparteiisch urteilen wollen, so müssen wir sagen: er war kein schlechter Mensch; er stahl einfach dem lieben Gott den Tag ab. Aber da es auf der weiten Welt so viele solcher Tagediebe gibt, warum sollte nicht auch Tentetnikow einer sein? Wir wollen übrigens hier einen beliebig herausgegriffenen Tag aus seinem Leben schildern, der allen anderen vollständig ähnlich war; mag der Leser sich daraus selbst ein Urteil darüber bilden, was er für einen Charakter hatte, und inwieweit sein Leben mit den ihn umgebenden Schönheiten der Natur im Einklang stand.
    Morgens erwachte er immer erst sehr spät, richtete sich halb auf und saß lange auf dem Bette und rieb sich die Augen. Und da seine Augen unglücklicherweise sehr klein waren, so dauerte dieses Reiben recht lange; die ganze Zeit über stand sein Diener Michailo mit dem Waschbecken und dem Handtuch an der Tür. Dieser arme Michailo stand so eine Stunde und noch eine Stunde da, begab sich dann nach der Küche, kam dann wieder zurück – aber sein Herr saß immer noch auf dem Bette und rieb sich die Augen. Endlich stand er doch auf, wusch sich, zog den Schlafrock an und ging in den Salon, um Tee, Kaffee, Kakao und sogar frisch gemolkene Milch zu trinken; aber er löffelte von allem nur langsam ein bißchen, zerbröckelte ohne Respekt das Brot und streute die Tabaksasche achtlos überall umher. So saß er zwei Stunden lang beim Frühstück. Und damit noch nicht genug: er nahm dann noch eine Tasse mit kalt gewordenem Getränk und begab sich damit zu dem Fenster, das auf den Hof hinausging; vor dem Fenster spielte sich täglich die nachstehende Szene ab.
    Zunächst schimpfte der Gutsdiener Grigori, der das Amt eines Büfettdieners versah, die Haushälterin Perfiljewna laut schreiend etwa mit folgenden Ausdrücken aus: »Du widerhaariges Frauenzimmer, du nichtswürdiges Weib! Du tätest besser, das Maul zu halten, du schändliche Kanaille!«
    »Du möchtest wohl etwas besehen?« schrie das nichtswürdige Weib oder Perfiljewna, indem sie ihm mit der Faust drohte; sie war eine Person, die sich auch auf derbe Tätlichkeiten verstand, obwohl sie eine große Freundin von Rosinen, Obstpasten und allerlei Süßigkeiten war, die sie unter ihrem Verschluß hatte.
    »Du fährst ja sogar dem Verwalter in die Haare, du Speisekammerhexe!« brüllte Grigori.
    »Jawohl, der Verwalter ist ebenso ein Dieb wie du. Meinst du, der Herr kennt euch nicht? Da ist er ja und hört alles.«
    »Wo ist der Herr?«
    »Da sitzt er am Fenster; er sieht alles.«
    Und in der Tat, der Herr saß am Fenster und sah alles.
    Um den wüsten Lärm vollständig zu machen, fing ein Kind, das von seiner Mutter, einer Gutsmagd, einen derben Schlag bekommen hatte, mörderlich an zu schreien, und ein Windhund, den der Koch vom Küchenfenster aus mit heißem Wasser begossen hatte, heulte, mit dem Hinterteil auf der Erde sitzend, in kläglichen Tönen. Kurz, der Spektakel war geradezu greulich. Der Herr sah und hörte alles mit an; aber erst als die Sache dermaßen unerträglich wurde, daß es ihn sogar im Nichtstun störte, schickte er hin und ließ sagen, sie

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