Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
an Sauberkeit einem Parkettfußboden. Respektvoll sprang Tschitschikow aus dem Wagen, ließ sich bei dem General anmelden und wurde direkt zu ihm in sein Arbeitszimmer geführt. Der General überraschte ihn durch sein imponierendes Äußeres. Er trug einen seidenen, gesteppten Schlafrock von prächtiger, purpurroter Farbe, hatte einen offenen Blick und ein männliches Gesicht; der Schnurrbart und der große Backenbart waren schon etwas graumeliert; im Nacken war das Haar nach Soldatenart ganz kurz geschnitten, so daß hinten der dicke Hals sichtbar wurde, ein sogenannter dreistöckiger Hals, mit drei Falten, zu denen noch eine quer hindurchgehende Furche kam: kurz, es war einer jener malerischen Generäle, an denen das berühmte Jahr 1812 so reich gewesen war. General Betrischtschew vereinigte, wie viele von uns, in sich eine Menge von Vorzügen mit einer Menge von Fehlern. Beide waren bei ihm, wie meist bei den Russen, in interessanter Unordnung durcheinander gemischt. In entscheidenden Augenblicken bewies er Hochherzigkeit, Tapferkeit, eine unbegrenzte Freigebigkeit und einen guten Verstand auf vielen Gebieten; damit aber gingen Hand in Hand Launenhaftigkeit, Eitelkeit, Selbstsucht und jene kleinliche Neigung zu persönlichen Ausfällen, von der kein Russe frei ist, wenn er ohne ernste Beschäftigung dasitzt. Er konnte alle diejenigen nicht leiden, die ihm im Dienste den Rang abgelaufen hatten, und äußerte sich über sie bitter, in beißenden Sarkasmen. Am meisten bekam dabei ein früherer Kamerad von ihm ab, den er an Verstand und Fähigkeiten zu übertreffen glaubte, und der ihn doch überholt hatte und bereits Generalgouverneur zweier Gouvernements war und gerade derjenigen, in denen seine Besitzungen lagen, so daß er gewissermaßen in Abhängigkeit von ihm stand. Um sich zu rächen, zog er bei jeder Gelegenheit über ihn her, schimpfte über jede Verfügung desselben und sah in all seinen Maßregeln und Handlungen den Gipfel der Unvernunft. Alles hatte an ihm einen sonderbaren Anstrich, wie sich das gleich auf dem Gebiete der Bildung beobachten ließ, deren eifriger Kämpe er war; er liebte es, etwas zu wissen, was andere nicht wußten, und konnte Leute nicht leiden, die etwas wußten, was ihm unbekannt war. Kurz, er prahlte gern mit seinem Verstande. Obwohl er eine zur Hälfte ausländische Erziehung erhalten hatte, wollte er dabei doch die Rolle eines russischen Gutsherrn spielen. Es kann nicht wundernehmen, daß er bei solcher Ungleichmäßigkeit und solchen stark hervortretenden Widersprüchen seines Charakters im Dienste fortwährend eine Menge Unannehmlichkeiten hatte, infolge derer er denn auch den Abschied nahm; die Schuld an allem maß er einer feindlichen Partei bei und besaß nicht die Seelengröße, sein eigenes Verhalten in irgendeinem Punkte als fehlerhaft zu erkennen. Im Ruhestande behielt er dieselbe malerische, imposante Haltung bei. Mochte er nun den Oberrock, den Frack oder den Schlafrock tragen, er war immer derselbe. Von seiner Stimme an bis zu seinen geringsten Bewegungen war alles an ihm gebieterisch und befehlend und flößte den niedriger Stehenden wenn nicht Respekt, so doch mindestens eine gewisse Scheu ein.
    Tschitschikow empfand das eine wie das andere: sowohl Respekt als auch Scheu. Ehrerbietig den Kopf zur Seite neigend und die Hände frei vorstreckend, wie wenn er sich anschickte, mit ihnen ein Tablett mit Tassen aufzuheben, verbeugte er sich erstaunlich gewandt mit dem ganzen Oberkörper und sagte: »Ich habe es für meine Pflicht gehalten, mich Euer Exzellenz vorzustellen. Da ich die größte Hochachtung vor dem Heldenmute der Männer hege, die das Vaterland auf den Schlachtfeldern gerettet haben, so hielt ich es für meine Pflicht, mich Euer Exzellenz persönlich vorzustellen.«
    Dem General gefiel dieses Auftreten augenscheinlich. Mit einer sehr wohlwollenden Kopfbewegung erwiderte er: »Es ist mir eine große Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen. Bitte, nehmen Sie Platz! Wo sind Sie amtlich tätig gewesen?«
    »Meine dienstliche Laufbahn«, antwortete Tschitschikow, indem er sich auf einen Lehnstuhl setzte, aber nicht mitten hinein, sondern schräg seitwärts, wobei er sich mit der Hand an der Armlehne des Stuhles festhielt, »begann beim Kameralhofe, Exzellenz. Ihr weiterer Verlauf vollzog sich an verschiedenen Stellen: ich war beim Hofgerichte, bei einer Baukommission und bei einer Zollbehörde. Man kann mein Leben gewissermaßen mit einem Schiffe vergleichen, das

Weitere Kostenlose Bücher