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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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niemals verwirklichen werden.
    Der Dienerschaft Pawel Iwanowitschs gefiel das Leben auf dem Gute ebenfalls. Auch sie hatten sich, ebenso wie ihr Herr, dort eingelebt. Petruschka wurde sehr bald mit dem Büfettdiener Grigori intim, wiewohl sie anfänglich einer dem anderen gegenüber stark renommiert und voreinander in sinnloser Weise dickgetan hatten. Petruschka suchte dem anderen zu imponieren durch den Hinweis auf all die vielen Orte, an denen er sich schon aufgehalten habe; Grigori aber trumpfte ihn sofort mit Petersburg ab, wo Petruschka noch nicht gewesen war. Letzterer wollte sich wieder aufrappeln und prahlte mit den weiten Entfernungen der von ihm besuchten Orte; aber Grigori nannte ihm einen Ort, den man auf keiner Karte finden konnte, und rechnete mehr als dreißigtausend Werst heraus, so daß Pawel Iwanowitschs Diener ganz verblüfft war, vor Erstaunen den Mund aufriß und von dem ganzen Gutsgesinde ausgelacht wurde. Indes endete die Sache damit, daß sie die besten Freunde wurden. Am Rande des Dorfes hielt ein gewisser Pimen, der den Beinamen »der Kahle« führte und von allen Bauern als Onkel angeredet wurde, eine Schenke, die er »Akulka« genannt hatte. In diesem Etablissement waren die beiden zu jeder Stunde des Tages zu finden. Dort wurden die beiden Schnapsbrüder ein Herz und eine Seele.
    Selifan hatte andere Freuden, die ihn lockten. Im Dorfe wurden, wie das im Frühling Brauch ist, allabendlich Lieder gesungen und Reigentänze aufgeführt. Er konnte stundenlang dastehen und mit offenem Munde die kräftigen, wohlgebauten Mädchen anstarren, Mädchen, wie sie heutzutage in großen Dörfern kaum mehr zu finden sind. Es war schwer zu sagen, welche von ihnen die schönste war: alle hatten sie weiße Brüste und weiße Hälse, große, ein wenig umschleierte Augen, einen pfauenartigen Gang und Zöpfe, die bis zum Gürtel reichten. Wenn er, mit beiden Händen ihre weißen Hände haltend, sich langsam mit ihnen im Reigen bewegte oder mit den anderen Burschen in geschlossener Reihe gegen sie anrückte und die Mädchen, ebenfalls in geschlossener Reihe, auf sie zukamen und lachend mit ihren kräftigen Stimmen laut sangen: »Zeigt uns den Bräutigam, ihr Hochzeitsgäste!« und ringsum die Gegend still in Dunkel versank und aus der Ferne von jenseits des Flusses her das Echo des Gesanges wehmütig zurückklang: dann wußte er selbst nicht, was mit ihm vorging. Im Schlafen und im Wachen, am Morgen und in der Abenddämmerung, immer hatte er nachher die Vorstellung, als halte er weiße Hände in seinen beiden Händen und bewege sich im Reigen.
    Auch Tschitschikows Pferden gefiel das neue Heim. Das Deichselpferd und der Assessor, ja selbst der Schecke fanden den Aufenthalt bei Tentetnikow durchaus nicht langweilig, den Hafer ausgezeichnet und die Einrichtung der Ställe außerordentlich bequem: jedes von ihnen hatte seinen besonderen Stand, und obgleich dieser von den Nachbarständen durch eine Zwischenwand getrennt war, so konnte man doch über diese hinweg auch die anderen Pferde sehen, so daß, wenn es einem von diesen, selbst einem sehr weit entfernten, plötzlich einfiel loszuwiehern, man ihm sofort in gleicher Weise antworten konnte.
    Kurz, alle Ankömmlinge fühlten sich hier wie zu Hause. Was die geschäftliche Angelegenheit anlangt, um derentwillen Pawel Iwanowitsch das weite Rußland bereiste, nämlich die toten Seelen, so war er in dieser Hinsicht sehr vorsichtig und taktvoll geworden, selbst wenn es sich traf, daß er mit kompletten Narren zu tun hatte. Zu diesen aber konnte er Tentetnikow nicht einmal rechnen; mochte derselbe im übrigen sein, wie er wollte, so las er doch Bücher und philosophierte und suchte bei allen Dingen über die Gründe, das Warum und Weshalb, ins klare zu kommen. »Nein, ich will lieber versuchen, ob es von einem anderen Ende her geht«, dachte Tschitschikow. Bei seinen häufigen Plaudereien mit den Gutsleuten erfuhr er unter anderem, daß der Herr früher ziemlich oft zu einem benachbarten General gefahren sei; der General habe eine Tochter, und der Herr sei dem gnädigen Fräulein sehr zugetan gewesen und das gnädige Fräulein dem Herrn; aber dann hätten sie sich aus irgendwelchem Grunde entzweit und getrennt. Er hatte auch selbst schon bemerkt, daß Andrei Iwanowitsch immer mit Bleistift und Feder Köpfchen zeichnete, die miteinander große Ähnlichkeit hatten.
    Als er einmal nach dem Mittagessen nach seiner Gewohnheit mit dem Finger seine silberne Schnupftabaksdose um

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