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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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mitten auf den Wogen treibt, Exzellenz. Schon von meiner allerfrühesten Kindheit an hatte ich viel zu dulden und bin sozusagen selbst das personifizierte Dulden. Und was mir von meinen Feinden alles widerfahren ist, die mir sogar nach dem Leben getrachtet haben, das können weder Worte noch sozusagen Pinsel und Farben wiedergeben. Daher suche ich am Abende meines Lebens nur ein Winkelchen, wo ich den Rest meiner Tage verbringen kann. Vorläufig habe ich bei einem nahen Nachbar Euer Exzellenz Wohnung genommen …«
    »Bei wem denn?«
    »Bei Tentetnikow, Exzellenz.«
    Der General runzelte die Stirn.
    »Er bereut es sehr, Exzellenz, daß er es an der schuldigen Achtung hat fehlen lassen.«
    »Wovor?«
    »Vor den großen Verdiensten Euer Exzellenz. Er findet nur nicht die richtigen Worte. Er sagt: ›Wenn ich nur irgendwie … denn wirklich‹, sagt er, ›ich weiß die Männer zu würdigen, die das Vaterland gerettet haben‹, sagt er.«
    »Aber ich bitte Sie, was hat er denn? Ich bin ihm ja gar nicht böse«, sagte der General, der bereits besänftigt war. »Ich habe ihn von Herzen gern und bin überzeugt, daß er mit der Zeit ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden wird.«
    »Was Euer Exzellenz zu sagen beliebten, ist vollkommen richtig; wirklich ein sehr nützliches Mitglied; er besitzt die Gabe der überzeugenden Rede und ist auch sehr gewandt mit der Feder.«
    »Aber er schreibt Dummheiten, wenn mir recht ist, so etwas wie Verse?«
    »Nein, Exzellenz, keine Dummheiten. Er hat eine ernste Arbeit vor. Er schreibt … Geschichte, Exzellenz.«
    »Geschichte? Was für Geschichte?«
    »Eine Geschichte …« hier hielt Tschitschikow einen Augenblick inne, ob nun infolge davon, daß ein General vor ihm saß, oder einfach, um dem, was nun kommen sollte, größeren Nachdruck zu verleihen, und fuhr dann fort: »eine Geschichte der Generäle, Exzellenz.«
    »Was heißt das: der Generäle? Welcher Generäle?«
    »Überhaupt der Generäle, Exzellenz; der Generäle im allgemeinen. Das heißt, genau gesagt: der vaterländischen Generäle.«
    Tschitschikow war ganz in Verwirrung geraten und verlegen geworden; er hätte sich selbst ohrfeigen mögen und sagte in Gedanken zu sich selbst: »Herrgott, was rede ich da für Unsinn!«
    »Entschuldigen Sie, ich verstehe nicht recht: wird es die Geschichte eines bestimmten Zeitabschnittes werden oder einzelne Biographien? Und im letzteren Falle: werden es die Biographien aller Generäle oder nur derjenigen, die an dem Feldzuge des Jahres 1812 teilgenommen haben?«
    »Ganz richtig, Exzellenz, derjenigen, die an dem Feldzuge des Jahres 1812 teilgenommen haben!« Nachdem er das gesagt hatte, dachte er bei sich: »Ich will mich totschlagen lassen, wenn ich selbst weiß, was ich rede!«
    »Warum kommt er denn dann nicht zu mir? Ich könnte ihm sehr viel interessantes Material liefern.«
    »Das wagt er nicht, Exzellenz.«
    »Unsinn! Wegen eines ganz bedeutungslosen Wortes, das zwischen uns geredet worden ist. Ich bin ja doch ganz und gar nicht so. Meinetwegen will ich auch selbst zu ihm hinfahren.«
    »Das wird er nicht zugeben; er wird selbst herkommen«, sagte Tschitschikow; er hatte sich wieder gesammelt, neuen Mut gefaßt und dachte: »So ein Glück! Die zufällige Erwähnung der Generäle hat gut gewirkt! Und doch hatte ich nur so unbesonnen drauflos geredet.«
    In dem Arbeitszimmer ließ sich ein Geräusch vernehmen. Eine Seitentür, die als ein geschnitzter Schrank von Nußbaumholz maskiert war, öffnete sich, und in der Öffnung erschien, die messingne Klinke in der Hand haltend, eine lebendige Gestalt. Wäre in einem dunklen Zimmer auf einmal ein von hinten stark durch Lampen erhelltes Transparent aufgeleuchtet, so hätte es durch die Plötzlichkeit seines Erscheinens nicht eine so überraschende Wirkung ausüben können wie diese Gestalt. Offenbar hatte sie hereinkommen wollen, um etwas zu sagen, zauderte nun aber beim Anblick eines unbekannten Mannes. Es schien, als sei mit ihr zusammen ein Sonnenstrahl hereingeflogen, und als finge das dunkle Arbeitszimmer des Generals auf einmal an zu lächeln. Tschitschikow konnte sich im ersten Augenblicke keine Rechenschaft darüber geben, was für ein Wesen da eigentlich vor ihm stand. Es ließ sich schwer sagen, welchem Lande sie entsprossen sein mochte. Es war unmöglich, so reine, edle Gesichtszüge irgendwo zu finden, außer vielleicht auf antiken Kameen. Schlank und gerade wie eine Kerze schien sie alle Frauen an Wuchs

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