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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Tschitschikow.
    »Andrei Iwanowitsch«, sagte er, »ich werde mit Ihnen reden, wie ein Bruder mit seinem Bruder redet. Sie sind ein unerfahrener Mensch; gestatten Sie mir, diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen! Ich werde zu Seiner Exzellenz hinfahren und ihm sagen, daß das Ganze Ihrerseits die Folge eines Mißverständnisses ist, die Folge Ihrer Jugend und Ihrer Unkenntnis der Menschen und der Welt.«
    »Vor ihm zu kriechen, liegt nicht in meiner Absicht!« erwiderte Tentetnikow gekränkt. »Und ich kann auch Sie dazu nicht bevollmächtigen.«
    »Der Kriecherei bin ich unfähig«, versetzte, ebenfalls gekränkt, Tschitschikow. »Ich kann als schwacher Mensch in mancher anderen Hinsicht Fehler begehen, aber der Kriecherei werde ich mich niemals schuldig machen. Entschuldigen Sie, Andrei Iwanowitsch, aber ich hatte nicht erwartet, daß Sie zum Lohn für meine gute Absicht meine Worte in einem so kränkenden Sinne auffassen würden.« All dies sprach er mit einem schönen Gefühl eigener Würde.
    »Ich habe unrecht, verzeihen Sie!« erwiderte der gerührte Tentetnikow eilig und ergriff seine beiden Hände. »Ich wollte Sie nicht kränken. Ich versichere Sie: Ihre gütige Teilnahme ist mir sehr wertvoll! Aber lassen wir diesen Gegenstand! Wir wollen nie wieder davon sprechen!«
    »Dann fahre ich eben bloß so, ohne bestimmten Auftrag, zum General.«
    »Warum?« fragte Tentetnikow, ihm erstaunt in die Augen blickend.
    »Um ihm meinen Respekt zu bezeigen.«
    »Ein sonderbarer Mensch, dieser Tschitschikow!« dachte Tentetnikow.
    »Ein sonderbarer Mensch, dieser Tentetnikow!« dachte Tschitschikow.
    »Ich will gleich morgen zu ihm fahren, Andrei Iwanowitsch, so gegen zehn Uhr vormittags. Ich meine, je eher man jemandem seinen Respekt bezeigt, um so besser. Da meine Britschke noch nicht ordentlich instand gesetzt ist, so erlauben Sie mir, bitte, Ihren Wagen zu nehmen! Ich möchte also gleich morgen, so um zehn Uhr vormittags zu ihm fahren.«
    »Was ist da zu bitten! Sie sind hier vollständig Herr: der Wagen und alles andere steht zu Ihrer Verfügung.«
    Nach diesem Gespräche sagten sie einander gute Nacht und trennten sich, um sich schlafen zu legen, nicht ohne daß ein jeder sich über die Sonderbarkeit des anderen seine Gedanken gemacht hätte.
    Aber merkwürdig: als am anderen Tage der Wagen vorfuhr und Tschitschikow im Frack, in weißer Weste und weißer Halsbinde fast mit der Behendigkeit eines Militärs hineinsprang und davonrollte, um dem General seinen Respekt zu bezeigen, da geriet Tentetnikow in eine solche Aufregung, wie er sie lange nicht empfunden hatte. Sein ganz eingerosteter, schlummernder Denkapparat kam auf einmal in heftige Bewegung. Eine nervöse Unruhe bemächtigte sich auf einmal des bis dahin in sorglose Trägheit versunkenen Siebenschläfers. Bald setzte er sich auf das Sofa, bald ging er an das Fenster, bald nahm er ein Buch in die Hand, bald wollte er nachdenken – ein vergeblicher Versuch! Er vermochte keinen Gedanken zu bilden. Dann wieder versuchte er, an nichts zu denken – aber auch das mißlang ihm. Bruchstücke von etwas, was mit Gedanken Ähnlichkeit hatte, Fetzen und Stücke von Gedanken drängten sich ihm in den Kopf und arbeiteten darin umher. »Ein seltsamer Zustand!« sagte er und begab sich ans Fenster, um den Weg entlang zu sehen, der den Eichenhain durchschnitt, und an dessen Ende der von dem Wagen aufgewirbelte Staub sich noch nicht wieder gelegt hatte. Aber verlassen wir Tentetnikow und begleiten wir Tschitschikow.

Zweites Kapitel
    Die guten Pferde brachten in etwas mehr als einer halben Stunde Tschitschikow nach dem zehn Werst entfernten Ziele. Zuerst führte der Weg durch den Eichenhain, dann zwischen ergrünenden Kornfeldern hin, die von frisch gepflügten Ackerstreifen unterbrochen waren, dann am oberen Rande der Berghöhe entlang, von wo sich alle Augenblicke Ausblicke in die Ferne auftaten, dann durch eine breite Lindenallee, die sich eben zu belauben begann, mitten in das Dorf hinein. Hier wendete sich die Lindenallee nach rechts und verwandelte sich in eine mit Pappeln eingefaßte Straße; die Stämme der Bäume waren unten mit geflochtenen Körben umgeben. So ging es gerade auf ein gußeisernes durchbrochenes Tor zu, durch welches man das mit reichem Schnörkelwerk verzierte, auf acht korinthischen Säulen ruhende Fronton des Hauses des Generals sah. Überall roch es nach Ölfarbe, die allem ein neues Aussehen gab und nichts alt erscheinen ließ. Der Hof glich

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