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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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prägte sich auf dem edlen, lieblichen Gesichte des jungen Mädchens aus. »Ach, Papa!« sagte sie, »ich verstehe nicht, wie du über so etwas lachen kannst! Mich machen diese ehrlosen Handlungen nur traurig, weiter nichts. Wenn ich sehe, wie vor aller Augen ein Betrug verübt wird und diese Leute nicht mit der allgemeinen Verachtung bestraft werden, dann weiß ich nicht, was mit mir vorgeht; ich werde dann ingrimmig, ja geradezu schlecht: ich denke, ich denke …« Sie brach beinah in Tränen aus.
    »Tu mir nur den Gefallen und sei nicht auf uns böse!« sagte der General. »Wir sind ja dabei ohne jede Schuld, nicht wahr?« fügte er, sich an Tschitschikow wendend, hinzu. »Gib mir einen Kuß und geh auf dein Zimmer! Ich muß mich gleich zum Mittagessen umziehen. Ich hoffe«, sagte er, indem er Tschitschikow offen ins Gesicht blickte, »du ißt mit mir?«
    »Exzellenz, wenn nur …«
    »Ohne Umstände; was ist da noch zu sagen? Ich kann ja noch, Gott sei Dank, einen Gast satt machen. Es gibt Kohlsuppe.«
    Tschitschikow streckte gewandt beide Arme nach vorn und bog dankbar und respektvoll den Kopf nach unten, so daß für eine Weile alle Gegenstände im Zimmer aus seinen Blicken verschwanden und ihm nur die Spitzen seiner eigenen Halbstiefel sichtbar blieben. Als er einige Zeit in dieser respektvollen Haltung verharrt hatte und dann den Kopf wieder in die Höhe hob, erblickte er Ulinka nicht mehr. Sie war verschwunden. An ihrer Stelle stand ein hünenhafter Kammerdiener da, der einen dichten Schnurr- und Backenbart trug und eine silberne Waschschüssel und eine ebensolche Kanne in den Händen hielt.
    »Erlaubst du mir, mich in deiner Gegenwart umzuziehen?«
    »Euer Exzellenz können sich in meiner Gegenwart nicht nur umziehen, sondern überhaupt alles tun, was Ihnen beliebt.«
    Der General warf den Schlafrock ab, streifte sich die Hemdärmel an seinen starken Heldenarmen in die Höhe und begann sich zu waschen, wobei er wie eine Ente spritzte und prustete. Das Seifenhasser flog nach allen Seiten umher.
    »Jawohl, eine Aufmunterung, die verlangen sie, die verlangen sie in der Tat«, sagte er, während er sich den Hals auf allen Seiten abtrocknete. »Streicheln soll man so einen Kerl, streicheln! Ohne Aufmunterung hat er nicht einmal mehr Lust zum Stehlen! Ha-ha-ha!«
    Tschitschikow war in einer sehr gehobenen Stimmung. Auf einmal kam ihm eine Art von Eingebung. »Der General ist ein fideler, gutmütiger Herr – probieren wir es!« dachte er, und da er sah, daß der Kammerdiener mit dem Waschgerät hinausgegangen war, so rief er: »Exzellenz, da Sie gegen alle Menschen so gut und freundlich sind, so habe ich eine große Bitte an Sie.«
    »Was denn für eine Bitte?«
    Tschitschikow sah sich nach allen Seiten um. »Ich habe einen schon sehr hinfälligen, alten Onkel, Exzellenz«, sagte er, »der besitzt dreihundert Seelen und zweitausend Dessätinen Land und hat keinen Erben außer mir. Er selbst kann das Gut wegen seiner Gebrechlichkeit nicht mehr verwalten; aber es mir übergeben, das will er auch nicht. Und was für einen sonderbaren Grund gibt er dafür an! Er sagt: ›Ich kenne meinen Neffen nicht; vielleicht ist er ein Verschwender. Mag er zuerst beweisen, daß er ein zuverlässiger Mensch ist; mag er sich zuerst selbst einmal dreihundert Seelen erwerben; dann werde ich ihm auch meine dreihundert übergeben.‹«
    »Danach ist er ein kompletter Narr, was?‹« fragte der General.
    »Ein Narr möchte er immerhin sein; das wäre seine eigene Sache. Aber in welcher Lage befinde ich mich, Exzellenz! Bei dem Alten hat sich eine Haushälterin eingenistet, und die hat Kinder; da ist zu befürchten, daß das ganze Vermögen auf diese Personen übergeht.«
    »Der alte Mann ist kindisch geworden; darüber ist kein Wort weiter zu verlieren«, sagte der General. »Ich sehe nur nicht, wodurch ich dir dabei helfen kann«, fügte er hinzu, indem er Tschitschikow erstaunt anblickte.
    »Da ist mir nun ein Gedanke gekommen. Wenn Euer Exzellenz mir alle toten Seelen Ihres Dorfes abträten, als ob sie noch lebendig wären, unter Abschluß eines Kaufkontraktes, dann könnte ich dem Alten diesen Kontrakt vorlegen, und er würde mir die Erbschaft überlassen.«
    Hier brach der General in ein lautes Gelächter aus, wie es kaum je ein Mensch ausgestoßen hat. So lang er war, ließ er sich auf einen Lehnstuhl fallen, warf den Kopf zurück und erstickte beinahe. Das ganze Haus geriet in Unruhe. Der Kammerdiener erschien. Die Tochter kam

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