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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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zu überragen. Aber dies war ein Irrtum. Sie war keineswegs von hohem Wuchse. Dieser Anschein wurde durch die außerordentlich harmonischen Proportionen aller ihrer Körperteile hervorgerufen. Das Kleid stand ihr so gut, daß man glauben konnte, die besten Schneiderinnen hätten untereinander Rat gepflogen, wie sie sie am schönsten schmücken könnten. Aber auch das war ein Irrtum. Sie schuf sich ihr Kostüm ganz allein und mühelos: an zwei, drei Stellen faßte eine Nadel ein nicht zugeschnittenes Stück eines einfarbigen Stoffes zusammen, und dieses legte sich in so edlem Faltenwurf um ihren Leib, daß, wenn man das Gewand und dessen Trägerin auf die Leinwand übertragen hätte, alle modern gekleideten jungen Damen ihr gegenüber wie Flickenpuppen vom Trödelmarkte ausgesehen hätten. Und hätte man sie mit all diesen Falten des sie umhüllenden Kleides in Marmor dargestellt, so hätte man geglaubt, die geniale Kopie eines antiken Kunstwerks vor sich zu sehen. Nur eines war ein Mangel: sie war gar zu dünn und schmächtig.
    »Ich stelle Ihnen mein verzogenes Töchterchen vor«, sagte der General, sich zu Tschitschikow wendend. »Aber ich kenne noch nicht Ihren Vor- und Vatersnamen.«
    »Braucht denn der Vor- und Vatersname eines Menschen bekannt zu sein, der sich durch keine glänzenden Taten ausgezeichnet hat?« erwiderte Tschitschikow bescheiden, indem er dabei den Kopf zur Seite neigte.
    »Aber ich muß es doch wissen …«
    »Pawel Iwanowitsch, Exzellenz«, antwortete Tschitschikow; er verbeugte sich beinah mit der Gewandtheit eines Militärs und sprang dann mit der Elastizität eines Gummiballes zurück.
    »Ulinka«, sagte der General, sich zu seiner Tochter wendend, »Pawel Iwanowitsch hat mir soeben eine interessante Neuigkeit mitgeteilt. Unser Nachbar Tentetnikow ist gar nicht ein so dummer Mensch, wie wir angenommen haben. Er beschäftigt sich mit einer recht bedeutsamen Arbeit: einer Geschichte der Generäle des Jahres 1812.«
    »Aber wer hat denn auch gedacht, daß er ein dummer Mensch ist?« erwiderte sie schnell. »Höchstens dieser Wischnepokromow, dem du Glauben schenkst, obwohl er ein ganz hohler, unwürdiger Geselle ist.«
    »Warum denn unwürdig? Er ist ein bißchen einfältig, das ist richtig«, entgegnete der General.
    »Er ist ein bißchen gemein und ein bißchen abscheulich, nicht nur ein bißchen einfältig. Wer seine Brüder so benachteiligt und seine Schwester aus dem Hause jagt, der ist ein abscheulicher Mensch.«
    »Aber das reden die Leute doch nur.«
    »So etwas werden die Leute nicht ohne Grund reden. Ich begreife nicht, Vater, wie du bei deinem braven, guten Herzen einen Menschen empfangen kannst, der von dir himmelweit verschieden ist, und von dem du selbst weißt, daß er schlecht ist.«
    »Na, da sehen Sie es«, sagte der General lachend zu Tschitschikow. »So streite ich mich immer mit ihr herum.« Und sich zu seiner erregten Tochter wendend, fuhr er fort: »Liebes Kind, ich kann ihn doch nicht fortjagen, wie?«
    »Warum denn auch gleich fortjagen? Aber warum bezeigst du ihm soviel Achtung, ja Liebe?«
    Hier hielt es Tschitschikow für seine Pflicht, auch seinerseits eine Bemerkung zu dem Gespräche beizusteuern.
    »Alle lebenden Wesen möchten geliebt werden, gnädiges Fräulein«, sagte er. »Was soll man tun? Auch das Vieh hat es gern, daß man es streichelt; es streckt zu diesem Zwecke seine Schnauze aus dem Stalle heraus und sagt gleichsam: ›Da, streichle mich!‹«
    Der General lachte. »Ja, ja, das stimmt: der Kerl hält einem seine Schnauze hin und sagt gewissermaßen: ›Streichle mich!‹ Ha-ha-ha! Und bei ihm hat nicht nur die Schnauze, sondern der ganze Mensch lebenslänglich im Dreck herumgewühlt; aber trotzdem verlangt er, was man ›eine Aufmunterung‹ nennt. Ha-ha-ha!« Der ganze Rumpf des Generals schwankte vor Lachen hin und her. Die Schultern, die ehemals die dicken Epauletten getragen hatten, schütterten, als ob sie sie noch trügen.
    Tschitschikow hielt für angemessen, ebenfalls in ein Gelächter auszubrechen; aber aus Respekt vor dem General verlieh er seinem Lachen den Klang des Vokals e: »He-he-he-he!« Sein Rumpf schwankte ebenfalls vor Lachen hin und her, obwohl seine Schultern nicht schütterten, weil sie keine dicken Epauletten getragen hatten.
    »So eine Kanaille bestiehlt den Fiskus und verlangt dann noch eine Belohnung! ›Ich muß eine Aufmunterung haben‹, sagt er, ›ich habe mich abgequält!‹ Ha-ha-ha-ha!«
    Ein schmerzliches Gefühl

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