Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gegen die Sonne, die andere tiefer unten, nach Art der mediceischen Venus, die aus dem Bade steigt.
»Nein«, erwiderte Tschitschikow, nahm die Mütze ab und verbeugte sich mehrmals vom Wagen aus.
»Na, dann können Sie Gott danken!«
»Wieso denn?« fragte Tschitschikow neugierig, indem er die Mütze über dem Kopfe in der Luft hielt.
»Sehen Sie nur mal her! Kleiner Foma, laß mal das Netz und hole den Stör aus dem Behälter! Kosma, du Tölpel, geh hin und hilf ihm!«
Die beiden Fischer hoben aus dem Behälter den Kopf eines Ungeheuers in die Höhe. »Das ist ein Riesentier! Der ist aus dem Flusse in unsern See gekommen!« rief der rundliche Herr. »Fahren Sie nur auf den Hof! Kutscher, schlag den unteren Weg ein, durch das Gemüsefeld! Lauf, großer Foma, du Tölpel, und nimm die Gatterstangen weg! Er wird Sie führen; ich selbst werde gleich …«
Der langbeinige, barfüßige Foma, der ›der große‹ zubenannt wurde, lief, so wie er war, im bloßen Hemde vor dem Wagen her durch das ganze Dorf, wo an jedem Hause Kescher, Netze und Reusen hingen: die Männer waren sämtlich Fischer; dann nahm er aus einer Verzäunung die Gatterstangen heraus, und der Wagen fuhr zwischen Gemüsefeldern hindurch auf einen freien Platz bei der Dorfkirche. Hinter der Kirche zeigten sich in einiger Entfernung die Dächer der Gutsgebäude.
»Ein wunderlicher Kauz, dieser Koschkarew!« dachte Tschitschikow bei sich.
»Da bin ich auch schon!« erscholl eine Stimme von der Seite her. Er blickte hin: der Gutsherr fuhr, bereits angekleidet, neben ihm; er trug einen grasgrünen Nankinrock und gelbe Beinkleider, aber kein Halstuch; er sah aus wie ein Kupido! Er saß seitwärts in seinem Wägelchen, das er mit seinem Körper vollständig ausfüllte. Tschitschikow wollte etwas zu ihm sagen, aber der Dicke war schon wieder verschwunden. Das Wägelchen tauchte von neuem an jener Stelle auf, wo die Fische herausgezogen waren, und von neuem ertönten die Rufe: »Großer Foma und kleiner Foma! Kosma und Denis!« Als aber Tschitschikow bei dem Portale des Gutshauses vorfuhr, stand zu seiner größten Verwunderung der dicke Gutsbesitzer schon auf den Stufen vor dem Portale und empfing ihn mit einer Umarmung. Wie er so schnell hatte dahingelangen können, war unbegreiflich. Sie küßten einander nach alter russischer Sitte dreimal über Kreuz: der Gutsherr war ein Mann vom alten Schlage.
»Ich bringe Ihnen Grüße von Seiner Exzellenz«, sagte Tschitschikow.
»Von welcher Exzellenz?«
»Von Ihrem Verwandten, dem General Alexander Dmitrijewitsch.«
»Wer ist das, Alexander Dmitrijewitsch?«
»General Betrischtschew«, antwortete Tschitschikow einigermaßen verwundert.
»Kenne ich nicht«, versetzte jener erstaunt.
Tschitschikow geriet in noch größere Verwunderung. »Wie hängt das zusammen? Ich hoffe doch, daß ich das Vergnügen habe, mit dem Oberst Koschkarew zu sprechen?«
»Nein, hoffen Sie das nicht! Sie sind nicht zu dem gekommen, sondern zu mir. Peter Petrowitsch Pjetuch! Pjetuch, Peter Petrowitsch!« erwiderte der Hausherr.
Tschitschikow war ganz starr. »Wie geht das zu?« wandte er sich an Selifan und Petruschka, die ebenfalls beide den Mund aufsperrten und die Augen aufrissen, der eine auf dem Bocke sitzend, der andere am Wagenschlage stehend. »Was habt ihr da angerichtet, ihr Dummköpfe? Ich habe euch doch gesagt: zum Oberst Koschkarew, und nun ist das hier Peter Petrowitsch Pjetuch …«
»Das haben die beiden Burschen gut gemacht! Geht in die Küche; da wird man jedem von euch ein Glas Schnaps geben«, sagte Peter Petrowitsch Pjetuch. Spannt die Pferde ab und geht gleich in die Leutestube!«
»Ich schäme mich; ein so ungeahnter Irrtum …« begann Tschitschikow.
»Kein Irrtum. Probieren Sie zuerst, wie Ihnen das Mittagessen gefällt, und dann sagen Sie, ob es ein Irrtum war! Ich bitte ganz ergebenst«, sagte Pjetuch, faßte Tschitschikow unter und führte ihn in die inneren Räume. Von dort kamen ihnen zwei junge Menschen in Sommerröcken entgegen, beide schlank wie Weidenruten, jeder wohl eine Elle größer als der Vater.
»Meine Söhne, Gymnasiasten, jetzt hier auf Ferien. Nikolai, bleib du bei unserem Gaste, und du, Alexei, komm mit mir mit!« Mit diesen Worten verschwand der Hausherr.
Tschitschikow unterhielt sich mit Nikolai. Dieser schien auf dem besten Wege zu sein, ein Liedrian zu werden. Er erzählte dem Gaste von vornherein, daß man von dem Besuche des Gymnasiums der Gouvernementsstadt keinen Segen
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