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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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bloß den Berg hinunterzufahren und dann durch die Wiesen hin; das ist das ganze Kunststück!«
    »Und du hast wohl die ganze Zeit über nichts weiter getan als Branntwein getrunken? Ein netter Bursche, ein sehr netter Bursche! Da kann man wirklich sagen: ein wahres Weltwunder!« Nach diesen Worten streichelte sich Tschitschikow das Kinn und dachte: »Was ist doch für ein Unterschied zwischen dem Gesichte eines gebildeten Edelmannes und der groben Fratze eines Lakaien!«
    Unterdessen begann die Kalesche den Berg hinunterzufahren. Wieder taten sich vor dem Blicke Wiesen und weite, mit Espenhainen bewachsene Flächen auf.
    Leise auf den guten Federn zitternd fuhr die bequeme Equipage sachte den kaum merklichen Abstieg hinunter; dann rollte sie durch Wiesen dahin, an Mühlen vorbei, mit leichtem Gepolter über Brücken weg, mit geringem Schwanken über die weichen Unebenheiten der Niederung. Kein einziger Erdhöcker machte sich dem Körper des Insassen unangenehm fühlbar; es war ein wahrer Genuß, in dieser Kalesche zu fahren!
    Schnell flogen an ihnen Weidenbüsche, dünne Erlen und Silberpappeln vorbei und streiften mit ihren Zweigen Selifan und Petruschka, die auf dem Bock saßen. Dem letzteren rissen sie alle Augenblicke die Mütze vom Kopfe. Der mürrische Diener sprang dann vom Bocke, schimpfte auf den dummen Baum und auf den Eigentümer, der ihn gepflanzt hatte, verstand sich aber schlechterdings nicht dazu, seine Mütze festzubinden oder auch nur mit der Hand festzuhalten, in der Hoffnung, dies sei das letztemal gewesen, und es werde sich nicht mehr wiederholen. Zu diesen Bäumen gesellten sich bald Birken und dann Tannen. Um die Wurzeln wuchs Dickicht; das Gras war ganz von blauen Schwertlilien und gelben Waldtulpen durchwachsen. Der Wald begann dunkel zu werden, und es wurde in ihm ordentlich Nacht. Aber auf einmal blitzten überall zwischen den Zweigen und Stämmen Lichter wie glänzende Spiegel auf. Die Bäume fingen an weniger dicht zu stehen; die glänzenden Stellen wurden größer, und plötzlich lag ein See vor ihnen, eine Wasserfläche von etwa vier Werst im Durchmesser. In einiger Entfernung waren am Ufer des Sees die grauen Blockhäuser eines Dorfes sichtbar. Im Wasser erscholl lautes Geschrei. Etwa zwanzig Menschen, die bis zum Gürtel, bis zu den Schultern, ja bis an den Hals im Wasser standen, zogen ein Schleppnetz ans Ufer. Dabei war ein Malheur passiert. Mit den Fischen zusammen hatte sich in das Netz eine rundliche Männergestalt verwickelt, ebenso dick wie hoch, so daß sie mit einer Melone oder einem Fäßchen Ähnlichkeit hatte. Dieser Mann war in heller Verzweiflung und schrie aus voller Kehle: »Denis, du Tölpel, gib den Strick doch Kosma! Kosma, nimm doch das Ende des Stricks von Denis! Zieh nicht so heftig, großer Foma! Geh dahin, wo der kleine Foma ist! Ihr nichtswürdigen Kerle, ich sage, ihr werdet noch das Netz zerreißen!« Der Melonenähnliche war augenscheinlich nicht um seine eigene Person in Besorgnis: ertrinken konnte er infolge seiner Dicke nicht; und wenn er, in der Absicht unterzutauchen, noch soviel Purzelbäume geschossen hätte, so würde ihn das Wasser doch immer wieder nach oben gebracht haben; und wenn sich ihm noch zwei Männer auf den Rücken gesetzt hätten, so wäre er doch wie eine hartnäckige Schweinsblase mit ihnen auf der Oberfläche des Wassers geblieben und hätte unter ihrer Last sich nur ein bißchen geräuspert und etwas Wasser aus der Nase geblasen. Aber er fürchtete sehr, das Netz könnte zerreißen und die Fische entkommen, und daher mußten ihn mit allem übrigen mehrere am Ufer stehende Männer auch noch mittels zugeworfener Stricke ans Land ziehen.
    »Das ist gewiß der Gutsherr, der Oberst Koschkarew«, sagte Selifan.
    »Warum?«
    »Weil er einen weißeren Leib hat als die anderen und auch eine respektable Dicke, ganz wie ein Herr: sehen Sie nur selbst!«
    Unterdes hatten die Leute den im Netz verwickelten Herrn bereits erheblich näher an das Ufer herangezogen. Als er fühlte, daß er Grund hatte, stellte er sich auf die Beine und erblickte in diesem Augenblicke die von dem Damme herabfahrende Kalesche und den darin sitzenden Tschitschikow.
    »Haben Sie schon zu Mittag gegessen?« rief der Herr, indem er unter den gefangenen Fischen ans Ufer trat. Er war ganz in das Netz gewickelt, vergleichbar mit einer Damenhand, die zur Sommerzeit in einem durchbrochenen Handschuh steckt; die eine Hand hielt er wie einen Schirm über die Augen zum Schutz

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