Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
erschrocken herbeigelaufen.
»Vater, was ist dir zugestoßen?« rief sie ängstlich und sah ihm verständnislos ins Gesicht.
Aber der General konnte lange Zeit keinen Laut von sich geben.
»Es ist nichts, liebes Kind; beunruhige dich nicht! Geh nur, geh; wir werden gleich zum Mittagessen kommen. Sei unbesorgt! Ha-ha-ha!«
Und nachdem er ein paarmal nach Luft geschnappt hatte, brach das Lachen mit neuer Gewalt heraus, so daß es vom Vorzimmer bis zum letzten Zimmer erschallte.
Tschitschikow fühlte sich beunruhigt.
»Nein, dieser Onkel, dieser Onkel! Der wird schön angeführt werden! Ha-ha-ha! Tote Seelen bekommt er statt lebendiger! Ha-ha-ha!«
»Es geht nochmal los!« dachte Tschitschikow bei sich. »Nein, ist der aber mal lachlustig! Er wird noch platzen!«
»Ha-ha-ha!« fuhr der General fort. »So ein Esel! Wie kann einem nur so eine Forderung in den Sinn kommen: ›Mag er sich zuerst mal ohne Anlagekapital dreihundert Seelen erwerben; dann werde ich ihm meine dreihundert Seelen geben!‹ Ist das ein Esel!«
»Gewiß, Exzellenz.«
»Na und dann deine famose Idee, den alten Mann mit toten Seelen zu regalieren! Ha-ha-ha! Ich würde wer weiß was darum geben, wenn ich mit ansehen könnte, wie du ihm den Kaufkontrakt über sie vorlegst. Na, was ist er denn eigentlich für ein Mensch? Wie ist er beschaffen? Ist er schon sehr alt?«
»Gegen achtzig Jahre.«
»Und doch noch beweglich und frisch! Er muß doch noch kräftig sein, wenn so eine Haushälterin bei ihm wohnt? …«
»Gott bewahre! Er ist ganz gebrechlich, Exzellenz.«
»So ein Narr! Denn ein Narr ist er doch?«
»Jawohl, Exzellenz.«
»Aber er fährt noch aus, besucht noch Gesellschaften und hält sich noch auf den Beinen?«
»Ja, auf den Beinen hält er sich noch, aber nur mit Mühe.«
»So ein Narr! Hat er denn noch Zähne?«
»Nur noch zwei, Exzellenz.«
»So ein Esel! Nimm es mir nicht übel, lieber Freund; wenn er auch dein Onkel ist, ein Esel ist er trotzdem.«
»Allerdings, Exzellenz. Er ist zwar mein Verwandter, und es wird mir schwer, das zuzugeben; aber was soll ich machen?«
Tschitschikow log: es wurde ihm gar nicht schwer, dies zuzugeben, um so weniger, da er schwerlich jemals einen Onkel gehabt hatte.
»Wollen also Euer Exzellenz die Güte haben, sie mir abzulassen?«
»Dir die toten Seelen abzulassen? Ja, für einen so prächtigen Einfall schenke ich sie dir mitsamt ihrem Grund und Boden und ihrer Behausung! Nimm dir den ganzen Kirchhof! Ha-ha-ha-ha! Wie der Onkel angeführt werden wird! Ha-ha-ha-ha!«
Und von neuem ertönte das Gelächter des Generals durch alle Zimmer.
[Hier wird die Erzählung durch eine größere Lücke unterbrochen. Das Manuskript des zweiten Teiles der »Toten Seelen« wies bei Gogols Tode an manchen Stellen Lücken auf, während für andere Partien mehrere verschiedene Redaktionen vorlagen. Übrigens steht fest, daß Gogol die jetzt hier fehlende Partie schon ausgearbeitet hatte; denn er hat sie Freunden vorgelesen, und einer derselben hat Mitteilungen über den Inhalt gemacht. Dieser war in aller Kürze folgender: Tentetnikow macht dem General einen Besuch, versöhnt sich mit ihm, und der General gibt seine Einwilligung zu dessen Verlobung mit Ulinka. Tschitschikow erbietet sich, bei allen Verwandten des Generals umherzufahren und ihnen diese Nachricht mitzuteilen. Das Anerbieten wird dankbar angenommen, und wir finden ihn am Anfang des dritten Kapitels auf dieser Fahrt, zu der ihm der General eine Kalesche und Tentetnikow ein Viergespann gegeben hat.]
Drittes Kapitel
»Wenn der Oberst Koschkarew wirklich verrückt sein sollte, so wäre das ganz gut«, sagte Tschitschikow, als alle Häuser hinter ihm verschwunden waren und er um sich her nur weit ausgedehntes freies Feld, über sich das Himmelsgewölbe mit zwei Wolken an der Seite hatte.
»Hast du dich auch ordentlich nach dem Wege zu dem Obersten Koschkarew erkundigt, Selifan?«
»Ich hatte, wie Sie wissen, Pawel Iwanowitsch, so viel mit der Kalesche zu tun, daß ich keine Zeit dazu hatte; aber Petruschka hat den Kutscher danach befragt.«
»Was bist du für ein Dummkopf? Ich habe dir doch ein für allemal gesagt, du sollst dich nicht auf Petruschka verlassen: Petruschka ist ein Klotz; Petruschka ist dumm; Petruschka ist wahrscheinlich auch jetzt wieder betrunken.«
»Den Weg zu finden, dazu gehört doch keine große Klugheit!« sagte Petruschka, indem er sich halb umdrehte und seinem Herrn einen schrägen Blick zuwarf. »Wir brauchen
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