Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
darf wohl annehmen, daß sich Ihre Verhältnisse jetzt gebessert haben? Nach dem Tode Ihrer Tante werden Sie doch wenigstens etwas bekommen haben.«
»Was soll ich Ihnen da sagen, Afanasi Wasiljewitsch? Ich weiß selbst nicht, ob sich meine Verhältnisse gebessert haben. Ich habe nur fünfzig Seelen und dreißigtausend Rubel bekommen; damit habe ich einen Teil meiner Schulden bezahlen müssen und besitze nun wieder geradezu nichts. Die Hauptsache ist aber: mit diesem Testamente ist es eine höchst unsaubere Geschichte. Dabei sind ganz arge Gaunereien verübt worden, Afanasi Wasiljewitsch! Ich will es Ihnen gleich erzählen, und Sie werden erstaunt sein, was alles passiert. Dieser Tschitschikow …«
»Erlauben Sie, Semjon Semjonowitsch; ehe wir von diesem Tschitschikow sprechen, wollen wir von Ihnen selbst reden. Sagen Sie mir: wieviel Geld würden Sie nach Ihrer Berechnung brauchen, um aus den Schwierigkeiten vollständig herauszukommen?«
»Meine Lage ist in der Tat eine sehr üble«, antwortete Chlobujew. »Um aus den Schwierigkeiten herauszukommen, alle meine Schulden zu bezahlen und dann ein bescheidenes Leben führen zu können, dazu brauche ich mindestens hunderttausend Rubel, wenn nicht mehr. Kurz, das ist ein Ding der Unmöglichkeit.«
»Nun, und wenn Sie diese Summe hätten, wie würden Sie dann Ihr Leben einrichten?«
»Nun, dann würde ich mir eine kleine Wohnung mieten und mich mit der Erziehung meiner Kinder beschäftigen. An mich selbst darf ich nicht mehr denken: meine Laufbahn ist abgeschlossen; denn ein Amt kann ich nicht übernehmen; ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen.«
»Das wäre dann doch nur ein Leben des Müßigganges, und im Müßiggange treten allerlei Versuchungen an einen heran, an die jemand, der seine Arbeit hat, gar nicht einmal denken würde.«
»Ich kann es nicht; ich bin zu nichts zu gebrauchen; ich bin geistig stumpf geworden und habe auch immer Kopfschmerzen.«
»Aber wie kann man nur ohne Arbeit leben? Wie kann man auf der Welt sein, ohne daß man eine Pflicht, einen Beruf erfüllt? Ich bitte Sie! Sehen Sie doch irgendein Geschöpf Gottes an: ein jedes hat seine ihm vorgeschriebene Tätigkeit, seine bestimmte Verrichtung. Selbst der Stein, auch der ist dazu da, zu irgendwelchem Zwecke gebraucht zu werden; und der Mensch, das verständigste Geschöpf, sollte sein Leben nutzlos verbringen? Ist das überhaupt möglich?«
»Nun, ohne Tätigkeit würde ich ja nicht sein. Ich könnte mich mit der Erziehung meiner Kinder beschäftigen.«
»Nein, Semjon Semjonowitsch, nein! Das ist das Allerschwerste. Wie kann derjenige Kinder erziehen, der sich selbst nicht erzogen hat? Kinder kann man ja doch nur in der Weise erziehen, daß man ihnen mit seinem eigenen Leben ein Vorbild gibt. Und ist Ihr eigenes Leben dazu geeignet, Ihren Kindern zum Vorbilde zu dienen? Sollen sie etwa daraus lernen, wie man die Zeit müßig hinbringt und Karten spielt? Nein, Semjon Semjonowitsch; übergeben Sie Ihre Kinder zur Erziehung mir: Sie können sie nur verderben. Überlegen Sie das einmal ernstlich: der Müßiggang hat Sie zugrunde gerichtet; vor dem müssen Sie sich hüten. Wie kann man auf der Welt leben ohne einen festen Halt? Man muß doch irgendwelche Pflicht erfüllen. Sehen Sie den Tagelöhner an, auch der leistet seinen pflichtmäßigen Dienst. Er ißt sein kümmerliches Brot, aber er verdient es sich und hat daher ein Interesse für seine Tätigkeit.«
»Bei Gott, ich habe es versucht, Afanasi Wasiljewitsch; ich habe mir alle Mühe gegeben, mich zu überwinden! Aber was ist zu machen? Ich bin alt geworden und zu nichts mehr tauglich. Was soll ich denn unternehmen? Soll ich in den Staatsdienst treten? Wie kann ich, ein Mann von fünfundvierzig Jahren, mich denn mit jungen Anfängern im Kanzleidienst an einen Tisch setzen? Außerdem bekomme ich es nicht fertig, für meine Amtstätigkeit Geschenke anzunehmen; ich würde mir selbst hinderlich sein und den anderen schaden. Die Beamten haben sich schon zu einer fest geschlossenen Kaste zusammengetan. Nein, Afanasi Wasiljewitsch, ich habe darüber nachgedacht, ich habe es versucht, ich habe alle Stellen durchmustert: ich passe nirgends hin. Höchstens noch ins Armenhaus …«
»Das Armenhaus ist für diejenigen, die gearbeitet haben; diejenigen aber, die sich während ihrer ganzen Jugendzeit amüsiert haben, bekommen dieselbe Antwort, welche die Ameise der Grille gab: ›Geh hin und tanze!‹ Und auch die Insassen des Armenhauses arbeiten und
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