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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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mühen sich ab und spielen nicht etwa Whist. Semjon Semjonowitsch«, sagte Murasow, ihm unverwandt ins Gesicht blickend, »Sie betrügen sich und mich.«
    Murasow sah ihm prüfend in die Augen; aber der arme Chlobujew konnte nichts antworten. Murasow empfand inniges Mitleid mit ihm.
    »Hören Sie, Semjon Semjonowitsch: Sie beten doch, Sie gehen in die Kirche, Sie versäumen, wie ich weiß, keine Morgenmesse und keine Abendmesse. Obgleich Sie nicht gern früh aufstehen, so stehen Sie doch auf und gehen hin, um vier Uhr morgens, wo sich sonst noch niemand erhoben hat.«
    »Das ist etwas ganz anderes, Afanasi Wasiljewitsch. Ich bin mir bewußt, daß ich das nicht um eines Menschen willen tue, sondern um seinetwillen, der uns allen befohlen hat, auf der Erde zu leben. Was soll ich machen? Ich glaube, daß er mir gnädig sein wird, daß er trotz all meiner Schändlichkeit und Garstigkeit mir verzeihen und mich zu Gnaden annehmen kann, während die Menschen mich mit den Füßen von sich stoßen und gerade meine besten Freunde mich verraten und nachher sagen, sie hätten es in guter Absicht getan.«
    Ein Gefühl bitteren Schmerzes prägte sich auf Chlobujews Gesicht aus. Dem alten Manne traten die Tränen in die Augen.
    »So dienen Sie doch ihm, der so gnädig ist! Er hat das gleiche Wohlgefallen an der Arbeit wie am Gebete. Üben Sie irgendeine Tätigkeit aus; aber üben Sie sie aus, als ob Sie es um seinetwillen täten und nicht um der Menschen willen. Stoßen Sie meinetwegen einfach Wasser in einem Mörser; aber denken Sie dabei nur, daß Sie es um seinetwillen tun! Schon das wird ein Nutzen sein, daß Ihnen dann keine Zeit für Schlechtigkeiten bleibt: für Kartenspiel und Schlemmerei und andere weltliche Vergnügungen. Ach, Semjon Semjonowitsch! Kennen Sie Iwan Potapytsch?«
    »Ja, ich kenne ihn und schätze ihn sehr hoch.«
    »Der war ein sehr tüchtiger Kaufmann und besaß eine halbe Million Rubel; aber als er sah, daß ihm alles gelang, da wurde er übermütig. Er ließ seinem Sohn französischen Unterricht geben und verheiratete seine Tochter an einen General. Und nun ließ er sich weder in seinem Laden noch in der Börsenstraße mehr sehen; sondern sobald er einem Freunde begegnete, schleppte er ihn mit sich in ein Restaurant, um dort mit ihm Tee zu trinken; da trank er dann ganze Tage lang Tee und machte schließlich Bankrott. Und da sandte ihm Gott ein Unglück: sein Sohn wurde wegen eines schweren Verbrechens nach Sibirien verbannt. Sehen Sie, jetzt ist nun Iwan Potapytsch bei mir Kommis. Er hat wieder ganz von vorn angefangen. Seine Verhältnisse haben sich gebessert. Er könnte sich wieder auf eine halbe Million hinaufarbeiten, aber er sagt: ›Ich bin Kommis geworden und will auch als Kommis sterben. Jetzt‹, sagt er, ›bin ich gesund und frisch; damals bekam ich einen dicken Bauch, und es entwickelte sich die Wassersucht. Nein‹, sagt er, ›ich bleibe in meiner jetzigen Stellung.‹ Und Tee nimmt er jetzt gar nicht in den Mund. Kohlsuppe und Grütze, das ist seine Nahrung, weiter nichts. Und beten und den Armen helfen tut er mehr als irgendeiner von uns. Auch ein anderer würde wohl gern den Armen helfen, wenn er nicht sein Geld durchgebracht hätte.«
    Der arme Chlobujew war in Gedanken versunken.
    Der Alte ergriff ihn an beiden Händen. »Semjon Semjonowitsch«, sagte er, »wenn Sie wüßten, wie leid Sie mir tun! Ich habe diese ganze Zeit hier an Sie gedacht. Und nun hören Sie! Sie wissen, daß hier im Kloster ein Einsiedler lebt, der so gut wie keine Menschen sieht. Das ist ein Mann von hohem Verstande, von einem Verstande, der über meine Begriffe geht. Er redet fast gar nicht; aber wenn er einem einen Rat gibt, so ist der Rat nicht mit Gold zu bezahlen. Ich ging zu ihm und sagte ihm, ich hätte einen Freund (den Namen nannte ich ihm nicht), der an der und der seelischen Krankheit litte. Er hörte ein Weilchen zu, unterbrach mich aber dann mit den Worten: ›Zuerst muß man Gottes Werk treiben, dann erst das eigene. Es werden Kirchen gebaut, aber es ist kein Geld dazu da; es muß für den Kirchenbau gesammelt werden!‹ Und damit schlug er die Tür zu. Ich dachte: ›Was hat das zu bedeuten? Er will mir offenbar keinen Rat geben.‹ So ging ich denn zu unserem Archimandriten. Kaum war ich bei ihm drinnen, als er zu mir gleich nach den ersten Worten sagte, ob ich nicht einen Menschen kenne, den man mit einer Geldsammlung für den Kirchenbau beauftragen könne; der Betreffende müsse entweder ein

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