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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Willenskraft und soviel Geduld. Die Arznei ist bitter; aber der Kranke nimmt sie doch, weil er weiß, daß er auf andere Weise nicht gesund werden kann. Sie sagen, Sie haben keine Liebe zum Guten; nun, tun Sie das Gute mit Selbstüberwindung, ohne Liebe zu ihm! Das wird Ihnen sogar noch höher angerechnet werden als demjenigen, der das Gute aus Liebe zu ihm tut. Zwingen Sie sich nur ein paarmal dazu; dann wird sich auch die Liebe schon einstellen. Glauben Sie nur: das läßt sich alles durchsetzen. ›Das Himmelreich leidet Gewalt‹ ist uns gesagt worden. Nur mit Anstrengung dringt man in dasselbe ein; mit Gewalt muß man es einnehmen. Ach, Pawel Iwanowitsch, Sie besitzen ja eine solche Kraft, eine solche eiserne Geduld, wie man sie nicht leicht bei einem anderen Menschen findet, und Sie sollten nicht obsiegen? Meiner Meinung nach können Sie geradezu ein Held sein, heutzutage, wo alle Leute so willenlos und schwach sind.«
    Man konnte es merken, daß diese Worte Tschitschikow tief ins Herz drangen und das am Grunde desselben schlummernde Ehrgefühl anregten. Wenn es nicht wirkliche Entschlossenheit war, so war es doch ein starkes, der Entschlossenheit ähnliches Gefühl, das in seinen Augen aufblitzte.
    »Afanasi Wasiljewitsch«, sagte er in festem Tone, »wenn Sie durch Ihre Fürsprache erreichen, daß ich freigelassen werde und wenigstens mit einem Teile meines Vermögens von hier wegfahren kann, so gebe ich Ihnen mein Wort darauf, daß ich ein anderes Leben beginnen werde: ich werde mir ein kleines Gut kaufen und Landwirt werden, und ich werde Geld nicht für mich sparen, sondern um anderen zu helfen; ich werde Gutes tun, soviel in meinen Kräften steht; ich werde mein bisheriges Selbst und alle städtischen Schmausereien und Gelage vergessen und ein einfaches, mäßiges Leben führen.«
    »Gott verleihe Ihnen Kraft zur Ausführung dieses Vorsatzes!« sagte der alte Mann erfreut. »Ich werde mir die größte Mühe geben, den Fürsten zu bewegen, daß er Sie in Freiheit setze. Ob es mir gelingen wird, das steht in Gottes Hand. Aber jedenfalls wird Ihre Lage gelindert werden. O Gott, umarmen Sie mich; erlauben Sie mir, Sie zu umarmen! Was haben Sie mir für eine Freude bereitet, wahrhaftig! Nun leben Sie wohl; ich werde sogleich zum Fürsten gehen.«
    Tschitschikow blieb allein.
    Er war in tiefster Seele erschüttert und ganz weich geworden. Auch das Platin, das härteste aller Metalle, daß am längsten dem Feuer widersteht, auch dieses schmilzt, wenn man in dem Schmelzofen die Glut steigert, wenn die Blasebälge arbeiten und die Hitze unerträglich wird; das hartnäckige Metall wird weiß und verwandelt sich schließlich wie andere in eine Flüssigkeit. So gibt auch der festeste Mann in dem Schmelzofen des Unglücks nach, wenn dieses mit immer stärkerer, unwiderstehlicher Glut auf sein verhärtetes Herz einwirkt.
    »Ich selbst verstehe und fühle das Rechte nicht, aber ich werde all meine Kraft anwenden, um andere dahin zu bringen, daß sie es fühlen; ich selbst habe keinen guten Charakter, aber ich will all meine Kraft zusammennehmen, um andere gut zu machen; ich selbst bin ein schlechter Christ, aber ich will mich mit aller Kraft bemühen, kein Ärgernis zu geben. Ich werde auf dem Lande im Schweiße meines Angesichts arbeiten und mich abquälen und mich einer ehrlichen Tätigkeit widmen, um auf andere einen guten Einfluß auszuüben. Ich bin ja doch nicht zu allem untauglich! Es fehlt mir nicht an Befähigung zur Landwirtschaft. Ich besitze Sparsamkeit, Gewandtheit und Besonnenheit, sogar Ausdauer. Ich brauche nur den Entschluß zu fassen …«
    So dachte Tschitschikow und schien mit seinen halberwachten Seelenkräften etwas wenigstens tastend zu fühlen. Es schien, als begreife er durch eine Art von dunklem Instinkt, daß es eine Pflicht gebe, die der Mensch auf der Erde zu erfüllen habe, eine Pflicht, die er überall erfüllen könne, in jedem Erdenwinkel, trotz aller äußeren Umstände und trotz aller inneren Erregungen, welche dem Menschen nirgends erspart bleiben, mag er sich befinden, wo er will. Und das arbeitsame Leben, fern von dem Lärm der Städte und von den Genüssen, die der arbeitsunlustige Mensch aus Langeweile ersonnen hat, stand nun so klar und reizvoll vor seinem geistigen Blicke, daß er schon beinahe ganz die Unannehmlichkeit seiner Lage vergaß und vielleicht sogar bereit war, der Vorsehung für diesen schweren Schlag zu danken, wenn er nur freikam und wenigstens einen Teil seines

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