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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Vermögens zurückerhielt. Aber da öffnete sich die kleine Tür seines unsauberen Gefängnisses, und ein Beamter, namens Samoswitow, trat herein, ein Epikureer, ein gewandter Mensch, breitschulterig, mit schlanken Beinen, ein vortrefflicher Kamerad, ein Zechbruder und, wie ihn seine eigenen Kameraden nannten, eine schlaue Kanaille. Zu Kriegszeiten hätte dieser Mensch Wundertaten ausgeführt; wenn man ihn abgeschickt hätte, um sich durch unwegsames, gefährliches Terrain hindurchzuarbeiten und dem Feinde eine Kanone vor der Nase wegzustibitzen, das wäre etwas für ihn gewesen. Aber in Ermangelung einer militärischen Laufbahn, bei der er vielleicht ein ehrenhafter Mensch geworden wäre, verwandte er seine ganze Kraft darauf, Schändlichkeiten zu begehen. Es war gar nicht zu begreifen, was er für sonderbare Anschauungen und Grundsätze hatte: seinen Kameraden gegenüber benahm er sich anständig, verriet niemals einen von ihnen und hielt sein gegebenes Wort; aber seine Vorgesetzten betrachtete er sozusagen als eine feindliche Batterie, in die man, unter Benutzung jedes schwachen Punktes, jeder Bresche und jeder Nachlässigkeit, eindringen müsse.
    »Wir sind über Ihre Lage völlig orientiert, wir wissen alles!« sagte er, nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Tür hinter ihm fest geschlossen war. »Aber die Sache ist nicht gefährlich, gar nicht gefährlich! Haben Sie nur keine Angst; es wird alles arrangiert werden. Wir werden uns alle für Sie bemühen und Ihnen zu Diensten sein. Dreißigtausend Rubel für uns, und die Sache ist erledigt.«
    »Ist’s möglich?« rief Tschitschikow. »Und ich werde vollständig freigesprochen werden?«
    »Ganz und gar! Sie werden sogar noch eine Vergütung für den erlittenen Schaden erhalten.«
    »Und was habe ich für die Bemühung zu zahlen?«
    »Dreißigtausend Rubel. Das ist für alle zusammen: für die Unsrigen und für die Leute des Generalgouverneurs und für den Sekretär.«
    »Aber, erlauben Sie, wie kann ich denn das nur? Meine sämtlichen Sachen, meine Schatulle, alles ist ja jetzt versiegelt und unter Bewachung …«
    »In einer Stunde werden Sie alles erhalten. Also Hand darauf?«
    Tschitschikow schlug in die dargebotene Hand ein. Sein Herz klopfte heftig, und er glaubte immer noch nicht, daß die Sache möglich sei.
    »Inzwischen leben Sie wohl! Unser gemeinsamer Freund läßt Ihnen sagen, die Hauptsache sei jetzt Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart.«
    »Hm!« dachte Tschitschikow. »Ich verstehe: der Rechtsanwalt!«
    Samoswitow verschwand. Alleingeblieben, vermochte Tschitschikow immer noch nicht den Verheißungen Glauben zu schenken; aber es war noch keine Stunde nach diesem Gespräche vergangen, als ihm seine Schatulle gebracht wurde; die Papiere, das Geld, alles in bester Ordnung. Samoswitow war in Tschitschikows Wohnung in der Rolle eines Revisors aufgetreten, hatte die dort stehenden Posten wegen mangelhafter Wachsamkeit ausgeschimpft und ihrem Anführer befohlen, sich noch ein paar Soldaten zur Verstärkung der Bewachung geben zu lassen; er hatte nicht nur die Schatulle, sondern auch alle sonstigen Papiere, welche Tschitschikow irgendwie hätten kompromittieren können, an sich genommen, das notwendigste Nachtzeug hinzugetan, alles zusammengebunden und versiegelt und, als ob der Inhalt ein harmloser wäre, einem der Soldaten befohlen, es sofort zu Tschitschikow zu bringen, so daß dieser mit den Papieren zugleich das erforderliche warme Zeug zur Einhüllung seines sterblichen Leibes erhielt. Diese schnelle Erfüllung des Versprechens freute ihn unsäglich. Er faßte nun sichere Hoffnung und begann bereits von neuem von allerlei verlockenden Dingen zu träumen: von Theaterabenden und von einer Tänzerin, um deren Gunst er sich bemühte. Das Gütchen und die Stille des Landlebens erschienen ihm in blasseren Farben; die Stadt und ihr Gelärm strahlten wieder in hellerem Glanze … ja, so ist das Leben!
    Unterdessen entwickelte sich bei den niederen und höheren Gerichten ein Prozeß von ganz gewaltigen Dimensionen. Die Federn der Schreiber flogen über das Papier; scharfsinnige Beamte studierten tabakschnupfend die Akten und freuten sich wie Künstler an dem verzwickten Geschreibsel. Der Rechtsanwalt lenkte, wie ein verborgener Zauberer, unsichtbar den ganzen Mechanismus; alle Beteiligten hatte er völlig umgarnt, ehe noch jemand Zeit gehabt hatte, sich ordentlich umzusehen. Der Wirrwarr wurde immer größer. Samoswitow übertraf sich selbst durch

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