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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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gar zu viele Gutsbesitzer und Bezirkshauptleute geben werde, sich geweigert, Abgaben zu bezahlen. Man mußte zu Zwangsmaßregeln greifen. Der arme Fürst befand sich in höchst gereizter Stimmung. Da wurde ihm gerade gemeldet, daß der Branntweinpächter Murasow gekommen sei. »Laß ihn eintreten!« sagte der Fürst. Der Alte trat ein.
    »Sehen Sie wohl, da haben Sie Ihren Tschitschikow! Sie nahmen sich seiner an und verteidigten ihn. Jetzt ist er bei einer Sache ertappt worden, die der ärgste Dieb nicht gewagt haben würde.«
    »Gestatten Euer Durchlaucht mir die Bemerkung, daß ich in dieser Sache noch nicht klar sehe.«
    »Eine Testamentsfälschung liegt vor, und noch dazu was für eine! Auf dieses Verbrechen steht öffentliche Auspeitschung!«
    »Durchlaucht, ich sage das nicht, um Tschitschikow zu verteidigen; aber die Sache ist ja noch nicht bewiesen; die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.«
    »Es liegen Beweise vor: die Frau, welche ausstaffiert war, um die Rolle der Toten zu spielen, ist arretiert. Ich will sie sofort in Ihrer Gegenwart verhören.« Der Fürst klingelte und gab Befehl, die Frau herbeizuführen.
    Murasow schwieg.
    »Eine ganz ehrlose Geschichte! Und schmachvollerweise sind die ersten Beamten der Stadt darin verwickelt, ja sogar der Gouverneur selbst. Er sollte sich nicht mit Dieben und Taugenichtsen abgeben!« rief der Fürst erregt.
    »Der Gouverneur ist ja doch ein Erbe; er war berechtigt, seine Ansprüche geltend zu machen; und daß sich auch andere von allen Seiten herangemacht haben, das liegt eben in der menschlichen Natur, Durchlaucht. Da ist eine reiche Frau gestorben, ohne vernünftige, gerechte Bestimmungen über ihren Nachlaß getroffen zu haben; nun strömen von allen Seiten Leute zusammen, die etwas profitieren möchten; das ist doch nur menschlich …«
    »Aber brauchen sie denn darum solche Gemeinheiten zu begehen? Die Schufte!« sagte der Fürst empört. »Ich habe keinen einzigen guten Beamten; alle sind sie Schurken!«
    »Durchlaucht, wer von uns ist so gut, wie er sein sollte? Alle Beamten unserer Stadt sind eben Menschen; sie haben ihre guten Eigenschaften, und viele von ihnen sind in ihrem Berufe sehr tüchtig; aber der Sünde ist freilich ein jeder unterworfen.«
    »Hören Sie mal, Afanasi Wasiljewitsch, sagen Sie mir doch (denn Sie sind der einzige ehrliche Mensch, den ich kenne): was haben Sie für eine Passion, jeden Schurken zu verteidigen?«
    »Durchlaucht«, erwiderte Murasow, »wie der Mensch auch beschaffen sein mag, den Sie einen Schurken nennen, er ist doch immer ein Mensch. Wie soll man denn einen Menschen nicht verteidigen, wenn man weiß, daß er die Hälfte seiner Übeltaten nur aus Unbildung und Unwissenheit begeht? Wir alle begehen ja auf Schritt und Tritt Ungerechtigkeiten und werden jeden Augenblick schuld an dem Unglücke eines anderen, auch ohne jede böse Absicht. Euer Durchlaucht haben ja selbst eine große Ungerechtigkeit begangen.«
    »Wie?« rief der Fürst erstaunt. Er war durch die unerwartete Wendung, die das Gespräch nahm, aufs höchste überrascht.
    Murasow hielt inne und schwieg ein Weilchen, wie wenn er etwas überlegte; endlich sagte er:
    »Zum Beispiel gleich in der Angelegenheit Djerpjennikows.«
    »Afanasi Wasiljewitsch! Das war ein Verbrechen gegen die Grundgesetze des Staates, das auf gleicher Stufe mit Landesverrat stand!«
    »Ich verteidige es nicht. Aber war es wohl gerecht, wenn ein Jüngling, der sich in seiner Unerfahrenheit von anderen hatte verleiten und verführen lassen, ebenso bestraft wurde wie derjenige, der einer der Rädelsführer gewesen war? Denn Djerpjennikow hat dasselbe Schicksal gehabt wie ein Woronoi-Drjannoi; und doch sind ihre Vergehungen nicht gleichartig.«
    »Um Gottes willen«, sagte der Fürst in merklicher Aufregung, »wissen Sie etwas darüber? Sagen Sie es mir! Ich habe noch vor kurzem expreß nach Petersburg geschrieben und gebeten, daß man sein Los mildern möchte.«
    »Nein, Durchlaucht, ich sage das nicht in dem Sinne, als ob ich etwas wüßte, was Sie nicht wissen. Allerdings gibt es wirklich einen Umstand, der zu seinen Gunsten in die Waagschale fallen könnte: aber er selbst gestattet die Verwertung desselben nicht, weil ein anderer Mensch darunter leiden würde. Was ich meine, ist nur dies: Sind Sie damals nicht zu schnell verfahren? Verzeihen Sie, Durchlaucht, ich urteile nach meinem schwachen Verstande. Sie haben mir zu wiederholten Malen befohlen, offenherzig zu reden. Als ich noch

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