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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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ganz derselben Weise vor Augen, wie Sie es soeben mir getan haben, und fragen Sie sie dann um Rat, was ein jeder von ihnen an Ihrer Stelle tun würde!«
    »Glauben Sie denn, daß diese Menschen edleren Regungen zugänglich sein werden, statt immer nur Ränke zu schmieden und sich zu bereichern? Seien Sie überzeugt, sie werden sich über mich lustig machen.«
    »Das meine ich nicht, Durchlaucht. Jeder Mensch, auch der schlechte Mensch, hat doch immer ein gewisses Gerechtigkeitsgefühl; es müßte denn etwa ein Jude oder Nichtrusse sein. Nein, Durchlaucht, Sie haben keinen Anlaß, sich zu verstecken. Reden Sie zu ihnen gerade so, wie Sie zu mir geredet haben! Eure Durchlaucht stehen bei ihnen in dem Rufe eines ehrgeizigen, stolzen Mannes, der nichts hören wolle und von sich selbst sehr hoch denke: nun, da mögen sie einmal sehen, wie die Sache wirklich liegt! Was haben Sie denn zu befürchten? Ihre Sache ist ja gerecht und gut. Reden Sie zu ihnen so, als ob Sie nicht vor ihnen, sondern vor Gott selbst beichteten!«
    »Afanasi Wasiljewitsch«, erwiderte der Fürst nachdenklich, »ich werde es mir überlegen; einstweilen aber danke ich Ihnen herzlich für Ihren Rat.«
    »Und was soll mit Tschitschikow werden, Durchlaucht? Bitte, geben Sie Befehl, ihn freizulassen!«
    »Sagen Sie diesem Tschitschikow, er solle machen, daß er von hier wegkommt, so schnell wie möglich, und je weiter um so besser! Ihm allerdings würde ich niemals verzeihen!«
    Murasow verbeugte sich und begab sich vom Fürsten geradeswegs zu Tschitschikow. Er fand diesen bereits in ganz guter Stimmung; er war in aller Seelenruhe damit beschäftigt, ein recht anständiges Mittagessen einzunehmen, das ihm aus einem sehr ordentlichen Restaurant in Fayencegeschirr gebracht war. Gleich bei den ersten Worten des Gespräches merkte der alte Mann, daß Tschitschikow bereits mit einem oder dem anderen von den pfiffigen Beamten gesprochen hatte. Er merkte sogar, daß der kluge Rechtsanwalt unsichtbarerweise seine Hand dabei im Spiele hatte.
    »Hören Sie, Pawel Iwanowitsch«, sagte er, »ich bringe Ihnen die Freiheit unter der Bedingung, daß Sie sofort die Stadt verlassen. Packen Sie all Ihre Sachen zusammen, und entfernen Sie sich dann, ohne eine Minute zu verlieren; sonst machen Sie Ihre Sache noch schlimmer, als sie ohnehin schon ist. Ich weiß, daß ein gewisser Mensch Sie instruiert, wie Sie sich verhalten sollen; so will ich Ihnen denn unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilen, daß gerade jetzt noch eine andere Sache aufgedeckt wird, eine so gravierende Sache, daß keine Macht der Erde diesen Menschen mehr wird retten können. Es macht ihm natürlich Freude, andere Leute zugrunde zu richten, um sich die Langeweile fernzuhalten; aber jetzt wird ihn sein Geschick ereilen. Ich habe Sie vorhin in einer guten Gemütsverfassung verlassen, in einer besseren, als diejenige ist, in der ich Sie jetzt wiederfinde. Der Rat, den ich Ihnen gebe, ist sehr ernst gemeint. Worauf es für uns ankommt, das sind nicht die materiellen Güter, um derentwillen die Menschen sich untereinander streiten und sich gegenseitig ermorden, als ob man hier auf Erden ein glückliches Leben führen könnte, ohne für das andere Leben Vorsorge getroffen zu haben. Glauben Sie mir, Pawel Iwanowitsch: ehe die Menschen nicht all das geringschätzen, um deswillen sie einander jetzt auf Erden beißen und auffressen, und ehe sie nicht in erster Linie darauf bedacht sind, ihre seelischen Güter in Ordnung zu halten, eher wird es auch um den irdischen Besitz nicht wohl stehen. Da mag man sagen, was man will, der Körper hängt von der Seele ab. Wie kann man da verlangen, daß alles gut gehe, wenn man seine Seele vernachlässigt? Denken Sie nicht an die toten Seelen, sondern an Ihre eigene lebendige Seele, und schlagen Sie mit Gottes Hilfe einen anderen Weg ein als Ihren bisherigen! Ich verreise morgen ebenfalls. Beeilen Sie sich! Sonst könnten Sie in meiner Abwesenheit zu Schaden kommen.«
    Nach diesen Worten entfernte sich der alte Mann. Tschitschikow wurde nachdenklich. Der hohe Sinn des Lebens leuchtete ihm wieder ein. »Murasow hat recht«, sagte er zu sich selbst, »es wird Zeit, daß ich einen anderen Weg einschlage!« Nachdem er sich das gesagt hatte, verließ er das Gefängnis. Der Wachtposten trug ihm die Schatulle nach. Selifan und Petruschka waren hocherfreut darüber, daß ihr Herr freigekommen war.
    »Nun, liebe Leute«, sagte Tschitschikow, sich freundlich zu ihnen wendend, »nun

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