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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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müssen wir einpacken und wegfahren.«
    »Fahren wir, Pawel Iwanowitsch!« erwiderte Selifan. »Der Weg wird gewiß in gutem Zustande sein: es ist genug Schnee gefallen. Es ist auch wirklich Zeit, daß wir diese Stadt verlassen. Sie ist mir so zuwider geworden, daß ich sie gar nicht mehr sehen mag.«
    »Geh zum Wagenbauer und laß unsere Kutsche auf Schlittenkufen setzen!« befahl Tschitschikow und ging selbst in die Stadt, mochte aber zu niemand herangehen, um Abschiedsbesuche zu machen. Nach diesem ganzen Vorfall war ihm das peinlich, um so mehr da in der Stadt eine Menge der häßlichen Gerüchte über ihn im Umlauf waren. Er vermied alle Begegnungen mit Bekannten und ging nur ganz im stillen zu seinem Kaufmann, bei dem er den Stoff von der Farbe »Rauch und Feuer von Navarino« gekauft hatte, kaufte von neuem vier Ellen zu Frack und Beinkleidern und begab sich dann selbst zu demselben Schneider wie früher. Für den doppelten Lohn versprach der Meister, die Herstellung des neuen Anzuges außerordentlich zu beschleunigen, ließ seine Gesellen die ganze Nacht über bei Kerzenlicht mit Schere, Nadel und Bügeleisen arbeiten, und am anderen Tag, wiewohl erst etwas spät, waren der Frack und die Beinkleider fertig. Die Pferde waren bereits angespannt. Tschitschikow aber probierte doch erst noch den Frack an. Dieser saß vorzüglich, genau wie der erste. Aber ach! Tschitschikow bemerkte auf seinem Kopfe kahle, weiße Stellen und sagte traurig zu sich selbst: »Was hatte es für Zweck, mich einer so heftigen Verzweiflung zu überlassen? Und die Haare hätte ich mir nun schon gar nicht ausraufen sollen!« Nachdem er den Schneider bezahlt hatte, verließ er endlich die Stadt in einer seltsamen Gemütsverfassung. Das war nicht mehr der frühere Tschitschikow; es war nur sozusagen eine Ruine desselben. Man konnte seinen Seelenzustand mit einem abgebrochenen Gebäude vergleichen, das abgebrochen ist, damit an seiner Statt ein neues errichtet werde, welches aber noch nicht hat begonnen werden können, weil von dem Baumeister noch nicht der endgültige Plan eingetroffen ist und die Arbeiter noch im unklaren sind, wie sie bauen sollen. Eine Stunde vor ihm war der alte Murasow in einem einfachen, mit einer Matte überdeckten Reisewagen mit Potapytsch zusammen abgereist, und eine Stunde nach Tschitschikows Abfahrt wurde den Beamten mitgeteilt, daß der Fürst anläßlich seiner Abreise nach Petersburg sie alle ohne Ausnahme zu sehen wünsche.
    In einem großen Saale des Gebäudes, in welchem der Generalgouverneur seine Dienstwohnung hatte, war die gesamte Beamtenschaft der Stadt versammelt, vom Gouverneur bis zum Titularrat: die Kanzleidirektoren und Abteilungsvorsteher, die Räte und Assessoren, Kislojedow, Krasnonosow, Samoswitow, solche, die keine Geschenke annahmen, und solche, die es taten, solche, die gegen ihr Gewissen handelten, solche, die es so halb und halb taten, und solche, die es gar nicht taten. Alle erwarteten sie mit einer gewissen Aufregung und Unruhe das Erscheinen des Generalgouverneurs. Der Fürst trat mit einer Miene ein, die weder finster noch heiter war: sein Blick war fest und ebenso sein Gang. Die sämtlichen Beamten verbeugten sich, viele von ihnen außerordentlich tief. Der Fürst erwiderte dies mit einer leichten Verbeugung und begann:
    »Im Begriff nach Petersburg abzureisen, hielt ich es für angemessen, Sie alle noch einmal zu sehen und Ihnen sogar den Grund meiner Reise zum Teil mitzuteilen. Es hat sich hier bei uns eine sehr ärgerliche Sache zugetragen. Ich nehme an, daß viele der Anwesenden wissen, von welcher Sache ich rede. Diese Sache hat zur Aufdeckung anderer nicht minder ehrloser Vorgänge geführt, an denen, wie sich schließlich herausgestellt hat, sogar Männer beteiligt gewesen sind, die ich bisher für ehrenhaft gehalten hatte. Es ist mir auch bekannt, daß die geheime Absicht besteht, alles dermaßen durcheinander zu wirren, daß es völlig unmöglich wird, mittels des gewöhnlichen, ordnungsmäßigen Verfahrens zu einer klaren Einsicht und zu einem Urteile zu gelangen. Ich weiß sogar, wer der Hauptleiter bei diesem Komplott ist, obwohl er seine Beteiligung sehr kunstvoll zu verbergen gesucht hat. Ich beabsichtige nun, die Untersuchung nicht mittels eines formellen, aktenmäßigen Verfahrens vorzunehmen, sondern wie in Kriegszeiten kurzerhand durch ein Kriegsgericht, und ich hoffe, daß der Kaiser, wenn ich ihm die ganze Sache vortrage, mir die Vollmacht dazu erteilen wird. In

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