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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Ähnlichkeit hatte, in welchem für die gesamten durchfrorenen Besucher des Jahrmarktes Sbiten gekocht wird, setzte sich mit Vergnügen auf das Mittelpferd, das sich unter seiner Last beinahe bis zur Erde bog. »Jetzt wird es gehen!« schrien die Bauern. »Nun hau ihn, hau ihn! Bearbeite den da mit der Peitsche, den Hellgelben; was spreizt er sich wie eine Koramora?« [4]   Aber als man sah, daß es doch nicht ging und alles Peitschen nichts half, setzten sich Onkel Mitjai und Onkel Minjai beide auf das Mittelpferd, und auf das Beipferd setzte sich Andruschka. Schließlich jagte der Kutscher, der die Geduld verlor, sowohl Onkel Mitjai als auch Onkel Minjai weg, und daran tat er gut, da von den Pferden schon ein solcher Dampf ausging, wie wenn sie, ohne einmal Atem zu schöpfen, eine ganze Poststrecke im Galopp zurückgelegt hätten. Er ließ sie sich eine Minute lang erholen, worauf sie ganz von selbst losgingen. Während dieses ganzen Vorganges betrachtete Tschitschikow sehr aufmerksam die junge Unbekannte. Mehrmals beabsichtigte er, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen; aber es wollte sich nie so recht machen. Inzwischen waren nun die Damen weggefahren; das hübsche Köpfchen mit den feinen Gesichtszügen und der schlanken Gestalt war verschwunden wie eine Vision, und es war wieder weiter nichts übriggeblieben als die Britschke, das Dreigespann der dem Leser bereits bekannten Pferde, Selifan, Tschitschikow und die leere Fläche der angrenzenden Felder. Überall im Leben, sowohl in den armen, unsauberen, modrigen unteren Regionen desselben als auch in den einförmig kalten, langweilig sauberen oberen Schichten, überall begegnet dem Menschen wenigstens einmal auf seinem Wege eine Erscheinung, die allem unähnlich ist, was er bis dahin gesehen hat, und die wenigstens einmal in ihm ein Gefühl erweckt, unähnlich denen, welche zu empfinden ihm in seinem ganzen übrigen Leben beschieden ist. Überall huscht durch all die Trübsal, aus der unser Leben zusammengeflochten ist, eine leuchtende Freude heiter hindurch, wie manchmal eine glänzende Equipage mit vergoldetem Geschirr, herrlichen Rossen und blitzenden Fensterscheiben, plötzlich unerwartet durch ein kümmerliches, armes Dörfchen hindurchjagt, das noch nie etwas anderes als Bauernwagen gesehen hat; und da stehen dann die Bauern noch lange, ohne die geöffneten Münder wieder zuzumachen und ohne die Mützen wieder aufzusetzen, obgleich die wundervolle Equipage schon längst davongefahren und den Augen entschwunden ist. So ist auch diese Blondine plötzlich und ganz unerwartet in unserer Erzählung aufgetaucht und ebenso wieder verschwunden. Wäre damals an Tschitschikows Stelle ein zwanzigjähriger Jüngling gewesen, ein Husar, ein Student oder überhaupt einer, der seine Lebenslaufbahn eben erst begann, o Gott, welche Empfindungen wären da in ihm erwacht, hätten sich geregt, wären laut geworden! Er hätte gewiß lange fast besinnungslos auf einem Flecke dagestanden, hätte die Augen starr in die Ferne gerichtet und alles vergessen: die Fahrt und alle ihn wegen seiner Saumseligkeit erwartenden Vorwürfe und Scheltreden und sich selbst und den Dienst und die Welt und alles, was auf der Welt ist.
    Aber unser Held stand schon in mittleren Jahren und hatte eine umsichtige, kühle Denkungsart. Auch er wurde nachdenklich und fing an zu überlegen, aber in positiverer Weise: seine Gedanken waren nicht so phantastisch, sondern zum Teil sogar von sehr solidem Charakter. »Ein prächtiges Mädchen«, sagte er, indem er die Tabaksdose öffnete und eine kleine Prise nahm. »Aber was ist denn an ihr besonders hübsch? Besonders hübsch ist, daß sie offenbar eben erst aus einem Pensionat oder Institut entlassen ist, daß an ihr noch nichts ›Weibliches‹ ist, wie man sich ausdrückt, das heißt nichts von dem, was an den Weibern besonders unangenehm wirkt. Sie ist jetzt noch wie ein Kind; alles an ihr ist einfach: sie spricht, was ihr in den Sinn kommt; sie lacht, sobald sie Lust bekommt zu lachen. Aus ihr kann man noch alles machen; sie kann ein wundervolles und sie kann ein verkrüppeltes Wesen werden – und aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie das letztere werden. Mögen sie nur erst die Mama und die Tanten vornehmen! In einem Jahre werden sie sie mit soviel Weiberkram vollstopfen, daß ihr eigener Vater sie nicht wiedererkennen wird. Von denen wird sie den Dünkel und die Affektiertheit annehmen; sie wird anfangen, sich nach auswendig gelernten Regeln zu drehen

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