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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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und zu wenden, wird sich den Kopf zerbrechen und überlegen, mit wem und wie und wieviel sie sprechen und wie sie den und jenen ansehen muß; jeden Augenblick wird sie fürchten, mehr gesagt zu haben, als sie dürfe; schließlich wird sie ganz konfus werden, und das Ende vom Liede wird sein, daß sie ihr ganzes Leben lang lügt und sich zu einem ganz greulichen Wesen herausbildet.« Hier schwieg er eine Zeitlang und fuhr dann fort: »Aber es wäre doch interessant zu wissen, aus was für einer Familie sie ist; was mag ihr Vater sein? Ein reicher, ehrenwerter Gutsbesitzer oder einfach ein wohldenkender Mensch, der sich im Dienst ein Kapital erworben hat? Angenommen, dieses Mädchen erhielte eine Mitgift von zweihunderttausend Rubeln, dann könnte sie ein sehr, sehr appetitlicher Bissen werden. Sie könnte, wie man sich ausdrückt, einen braven Menschen glücklich machen.« Die zweihunderttausend Rubel standen ihm als ein so lockendes Bild vor Augen, daß er anfing, sich innerlich über sich selbst zu ärgern, weil er während der Quälerei mit den Wagen nicht den Vorreiter oder den Kutscher gefragt hatte, wer die Herrschaften wären. Bald indes wurde Sobakewitschs Dorf sichtbar, verscheuchte diese Gedanken und zwang ihn, wieder an das zu denken, was der dauernde Zweck seiner Fahrt war.
    Das Dorf kam ihm ziemlich groß vor; zwei Wälder, ein Birkenwald und ein Fichtenwald, der eine dunkler, der andere heller, lagen wie zwei Flügel rechts und links von ihm; in der Mitte erblickte er ein hölzernes Haus mit einem Halbgeschoß, einem roten Dache und dunkelgrauen oder, richtiger gesagt, naturfarbenen Wänden, ein Haus von der Art, wie sie für Militärniederlassungen und für deutsche Kolonisten gebaut werden. Man konnte erkennen, daß bei seiner Erbauung der Baumeister unaufhörlich mit dem Geschmacke des Besitzers zu kämpfen gehabt hatte. Der Baumeister war ein Pedant gewesen und hatte nach Symmetrie gestrebt, der Besitzer nur nach Bequemlichkeit, und infolgedessen hatte dieser auf der einen Seite alle korrespondierenden Fenster zumauern und an ihrer Stelle nur ein einziges kleines Fensterchen anbringen lassen, das wahrscheinlich für eine sonst dunkle Kammer erforderlich war. Das Fronton war ebenfalls nicht in die Mitte des Hauses zu stehen gekommen, wie sehr sich auch der Baumeister gesträubt hatte; denn der Besitzer hatte befohlen, eine Säule auf der einen Seite wegzulassen, so daß sich nun dort nicht, wie beabsichtigt, vier, sondern nur drei Säulen befanden. Der Hof war von einem festen und unverhältnismäßig dicken hölzernen Staketenzaun umgeben. Der Gutsbesitzer schien sehr auf Dauerhaftigkeit bedacht zu sein. Zu dem Pferdestall, der Remise und der Küche waren schwere, dicke Balken verwendet, die für die Ewigkeit berechnet zu sein schienen. Die Häuser der Bauern waren ebenfalls erstaunlich solide gebaut, die Wände waren nicht mit musterartiger Holzschnitzerei und ähnlichem Zierat versehen; aber alles war fest, und wie es sich gehört, zusammengefügt. Sogar der Brunnen war aus so starkem Eichenholz gebaut, wie man es sonst nur zu Mühlen und Schiffen benutzt. Kurz, alles, was unser Reisender sah, stand solide und unerschütterlich da, in einer Art von fester, plumper Ordnung. Als er sich der Freitreppe näherte, bemerkte er zwei Gesichter, die fast gleichzeitig aus dem Fenster sahen: ein weibliches mit einer Haube, das lang und schmal wie eine Gurke war, und ein männliches, rund und breit wie einer jener Moldauer Flaschenkürbisse, aus denen in Rußland zweisaitige Balalaiken fabriziert werden, leichte Balalaiken, die Zierde und der Zeitvertreib des behenden zwanzigjährigen Burschen, des ländlichen Elegants, der den weißbusigen, weißhalsigen Dorfschönen zublinzelt, die sich versammelt haben, um sein leises, von geschicktem Pfeifen begleitetes Geklimper anzuhören. Beide Gesichter verschwanden, nachdem sie hinausgeschaut hatten, im gleichen Augenblick wieder. Auf die Freitreppe trat ein Diener hinaus, in einer grauen Joppe mit blauem Stehkragen, und führte Tschitschikow in den Flur, auf den bereits der Hausherr selbst hinausgekommen war. Als er den Gast erblickte, sagte er nur kurz: »Ich bitte!« und führte ihn in die inneren Räume.
    Als Tschitschikow von der Seite her einen Blick auf Sobakewitsch warf, schien er ihm diesmal eine frappante Ähnlichkeit mit einem Bären von mittlerer Größe zu haben. Um diese Ähnlichkeit vollständig zu machen, trug er einen langärmeligen Frack, der genau

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