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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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ihren Reflexionen auf ganz plötzliche, unerwartete Weise unterbrochen. Alle, den Kutscher selbst eingeschlossen, kamen erst dann zu sich und zur Besinnung, als eine sechsspännige Kutsche in schneller Fahrt gegen sie anrannte und sie beinah über ihren Köpfen den Aufschrei der in der Kutsche sitzenden Damen und das Geschrei und die Drohungen des fremden Kutschers hörten: »Ach, du Kanaille du! Ich habe dir ja aus vollem Halse zugeschrien: ›Bieg rechts aus, Maulaffe!‹ Du bist wohl betrunken, was?« Selifan war sich seiner Nachlässigkeit bewußt; aber da ein Russe nicht gern vor anderer Leute Ohren zugibt, sich schuldig gemacht zu haben, so nahm er sofort eine würdevolle Haltung an und erwiderte: »Aber warum hast du auch so gejagt? Du hast wohl deine Augen in der Schenke als Pfand gelassen, wie?« Darauf begann er zurückzuzupfen, um auf diese Weise seine Britschke von dem fremden Gespann freizubekommen; aber das wollte nicht gelingen, es hatte sich alles zu sehr verheddert. Der Schecke beroch neugierig seine neuen Freunde, die auf beiden Seiten von ihm standen. Unterdessen blickten die in der Kutsche sitzenden Damen auf alles dies mit einem Ausdrucke von Angst in den Gesichtern hin. Die eine war eine alte Dame, die andere jung, sechzehnjährig, mit goldblondem Haar, das sehr hübsch und nett auf dem kleinen Köpfchen glattgestrichen war. Das allerliebste Oval ihres Gesichtes wölbte sich wie ein frisches Ei und zeigte eine Art von durchschimmernder Weiße, ähnlich einem Ei, wenn dasselbe, soeben gelegt, von der braunen Hand der prüfenden Wirtschafterin gegen das Licht gehalten wird und die Strahlen der glänzenden Sonne hindurchläßt. Auch ihre feinen Ohrmuscheln waren wie durchsichtig und schimmerten rötlich von dem hindurchdringenden warmen Lichte. Dabei waren der Ausdruck des Schrecks auf den offengebliebenen Lippen und die Tränen in den Augen so lieblich, daß unser Held die junge Dame mehrere Minuten lang anblickte, ohne dem wirren Renkontre zwischen den Pferden und Kutschern irgendwelche Aufmerksamkeit zuzuwenden. »Zupf doch zurück, du Dummrian!« schrie der fremde Kutscher. Selifan zog die Zügel zurück, der fremde Kutscher tat dasselbe; die Pferde machten ein paar Schritte nach rückwärts, prallten dann aber wieder zusammen, wobei sie über die Zugstränge traten. Bei dieser Gelegenheit fand der Schecke an dem einen seiner neuen Bekannten solches Gefallen, daß er absolut nicht aus der Klemme hinausgehen wollte, in die er durch ein unvorhergesehenes Schicksal hineingeraten war, sondern seine Schnauze auf den Hals seines neuen Freundes legte und ihm, wie es schien, etwas aus nächster Nähe ins Ohr flüsterte, wahrscheinlich einen schrecklichen Unsinn, da der andere fortwährend mit den Ohren schüttelte.
    Indessen hatte sich um diesen wirren Knäuel allmählich schon eine Menge Bauern aus einem zum Glück nicht weit davon gelegenen Dorfe versammelt. Da ein solches Schauspiel für einen Bauer ein reiner Genuß ist, gerade wie für einen Deutschen seine Zeitungen oder sein Klub, so wuchs ihr Haufe um die Kutsche bald gewaltig an, und im Dorfe blieben nur die alten Frauen und die kleinen Kinder zurück. Die Zugstränge wurden abgeknüpft; ein paar Püffe, die der Schecke gegen die Schnauze erhielt, zwangen ihn zurückzugehen; kurz, die Pferde wurden getrennt und auseinandergeführt. Aber ob nun aus Ärger darüber, daß man sie von ihren Freunden getrennt hatte, oder einfach aus Eigensinn, kurz, die fremden Pferde wollten, soviel sie der Kutscher auch mit der Peitsche schlug, sich nicht bewegen, sondern standen wie angeschmiedet. Das Interesse der Bauern steigerte sich bis zu einem unglaublichen Grade. Wetteifernd drängten sie sich mit Ratschlägen vor: »Geh, Andruschka, führe mal das Beipferd vorwärts, das da rechts, und Onkel Mitjai muß sich auf das Mittelpferd setzen! Setz dich drauf, Onkel Mitjai!« Der hagere, lange, rotbärtige Onkel Mitjai setzte sich auf das Mittelpferd und nahm sich dort ähnlich aus wie der Glockenturm einer Dorfkirche oder, besser gesagt, wie der Haken, mit dem man aus dem Ziehbrunnen das Wasser heraufholt. Der Kutscher schlug auf die Pferde los, aber ohne Erfolg: Onkel Mitjai hatte nichts geholfen. »Halt, halt!« riefen die Bauern. »Onkel Mitjai, setze du dich auf das Beipferd, und Onkel Minjai muß sich auf das Mittelpferd setzen!« Onkel Minjai, ein breitschultriger Bauer mit einem kohlschwarzen Barte und einem Bauche, der mit jenem riesigen Samowar

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