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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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sie aus den Wolken herniederkämen, die hellen Klänge eines Glöckchens; deutlich erscholl das Rädergerassel eines bei der Freitreppe vorfahrenden Wagens, und man hörte sogar bis ins Zimmer herein das schwere Atmen und Schnauben der erhitzten Pferde eines anhaltenden Dreigespanns. Alle blickten unwillkürlich durch das Fenster: ein schnurrbärtiger Herr in einem halbmilitärischen Rocke stieg aus dem Wagen. Nachdem er sich im Vorzimmer erkundigt hatte, trat er gerade in dem Augenblicke ein, als Tschitschikow von seiner Angst noch nicht wieder zur Besinnung gekommen war und sich noch in dem kläglichsten Zustande befand, in welchem ein Sterblicher jemals gewesen ist.
    »Gestatten Sie die Frage, wer hier Herr Nosdrew ist«, sagte der Unbekannte und musterte einigermaßen erstaunt sowohl Nosdrew, der mit dem Tschibuk in der Hand dastand, als auch Tschitschikow, der nur soeben anfing, sich von seiner üblen Lage zu erholen.
    »Gestatten Sie vorher die Frage, mit wem ich die Ehre habe zu reden«, sagte Nosdrew und trat dabei näher an ihn heran.
    »Ich bin der Bezirkshauptmann.«
    »Und was steht zu Ihren Diensten?«
    »Ich bin gekommen, um Ihnen eine mir zugegangene Benachrichtigung mitzuteilen, daß Sie sich bis zur Entscheidung Ihres Prozesses unter gerichtlicher Aufsicht befinden.«
    »Was ist das für Unsinn? Von welchem Prozesse reden Sie?« sagte Nosdrew.
    »Sie sind an einem Skandal beteiligt gewesen, bei welchem Betrunkene den Gutsbesitzer Maximow durch Auspeitschen persönlich beleidigt haben.«
    »Sie lügen! Ich habe den Gutsbesitzer Maximow nie mit Augen gesehen.«
    »Mein Herr, gestatten Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich Offizier bin. Sie können so zu Ihrem Diener reden, aber nicht zu mir.«
    Hier griff Tschitschikow, ohne abzuwarten, was Nosdrew darauf antworten werde, schnell nach seiner Mütze, schlüpfte hinter dem Rücken des Bezirkshauptmanns auf die Freitreppe hinaus, setzte sich in seine Britschke und gab dem Kutscher Selifan Bescheid, so schnell zu fahren, wie die Pferde nur laufen könnten.

Fünftes Kapitel
    Unser Held befand sich indessen immer noch in großer Angst. Obwohl die Britschke im schnellsten Tempo dahinjagte und Nosdrews Dorf schon längst aus dem Gesichtskreise verschwunden war und sich hinter Feldern, Abhängen und Hügeln versteckt hatte, so sah er sich doch immer noch furchtsam um, als erwarte er, daß die Verfolger jeden Augenblick hinter ihm hergeflogen kämen. Er konnte nur mühsam atmen, und als er versuchsweise die Hand auf sein Herz legte, fühlte er, daß es auf und nieder ging wie eine Wachtel im Käfig. »Ach, der hat mir schön warm gemacht! Nein, so ein Mensch!« Hier stieß er gegen Nosdrew allerlei kräftige Verwünschungen aus, wobei auch unschöne Worte vorkamen. Aber dafür war er eben ein Russe und noch dazu ärgerlich! Zudem war die Sache wirklich ganz und gar kein Spaß gewesen. »Man mag sagen, was man will«, sprach er zu sich selbst, »aber wäre nicht noch zur rechten Zeit der Bezirkshauptmann gekommen, so wäre es mir vielleicht nicht mehr vergönnt, Gottes schöne Welt zu sehen! Ich wäre vergangen wie eine Blase auf dem Wasser, ohne jede Spur, ohne Nachkommen zu haben und ohne meinen künftigen Kindern ein Vermögen oder einen ehrlichen Namen zu hinterlassen!« Unser Held war um seine Nachkommen sehr besorgt.
    »So ein schändlicher Herr!« dachte Selifan bei sich, »so einen Herrn habe ich noch nie zu sehen bekommen. Anspucken müßte man ihn für so ein Benehmen! Eher könnte einer einem Menschen nichts zu essen geben; aber ein Pferd muß man füttern, weil ein Pferd gern Hafer frißt. Das ist seine Nahrung, was zum Beispiel für uns die Speisen sind, das ist für ein Pferd der Hafer; der ist seine Nahrung.«
    Auch die Pferde schienen über Nosdrew eine ungünstige Meinung zu hegen; nicht nur der Braune und der Assessor, sondern auch sogar der Schecke war übler Laune. Obgleich Selifan ihm auf sein Teil immer etwas weniger Hafer gab und ihn ihm nie in die Krippe schüttete, ohne dabei zu sagen: »Ach, du Schuft, du!« so war das doch immer Hafer gewesen, und nicht bloß Heu, und der Schecke pflegte ihn mit Vergnügen zu kauen und seine lange Schnauze häufig nebenan in die Krippe zu seinen Kameraden hineinzustecken, um zu probieren, was sie für eine Nahrung hätten, namentlich wenn Selifan nicht im Stalle war; aber jetzt nur Heu – das war nicht schön! Alle waren unzufrieden.
    Aber bald wurden all diese Unzufriedenen mitten in

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