Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
seine Britschke setzte. »Zwei und einen halben Rubel hat er mir für eine tote Seele abgezwackt, der verdammte Halsabschneider!«
Er war mit Sobakewitschs Benehmen unzufrieden. Sie waren doch immerhin Bekannte und waren beim Gouverneur und beim Polizeimeister zusammengewesen; und trotzdem betrug sich der, als wenn sie einander ganz fremd wären: für etwas ganz Wertloses hatte er ihm so viel Geld abgenommen! Als die Britschke vom Hofe fuhr, blickte er noch einmal zurück und sah, daß Sobakewitsch immer noch auf der Freitreppe stand und ihm anscheinend nachsah, um zu erfahren, wohin der Gast fahre.
»Der Schuft, immer noch steht er da!« murmelte er vor sich hin und befahl seinem Kutscher Selifan, zu den Bauernhäusern hinzulenken und aus dem Dorfe in der Weise wegzufahren, daß der Wagen vom Gutshofe aus nicht zu sehen sei. Er wollte zu Pluschkin fahren, bei dem, nach Sobakewitschs Angabe, die Leute gestorben waren wie die Fliegen; aber er wollte nicht, daß Sobakewitsch es wisse. Als die Britschke schon am Ende des Dorfes war, rief er einen Bauer heran, der irgendwo auf dem Wege einen sehr dicken Balken aufgehoben hatte und, einer unermüdlichen Ameise vergleichbar, ihn auf der Schulter nach seinem Häuschen schleppte.
»Heda, Alterchen! Wie fährt man von hier zu Pluschkin, so daß man nicht beim Gutshause vorbeikommt?«
Der Bauer schien über diese Frage in Verlegenheit zu kommen.
»Wie ist’s? Weißt du es nicht?«
»Nein, Herr, ich weiß es nicht.«
»Ach, du! Und bekommst schon graue Haare! Kennst du den geizigen Pluschkin nicht, der seine Leute so schlecht nährt?«
»Ah, den zerlumpten, den zerlumpten!« rief der Bauer. Er fügte zu dem Worte »der zerlumpte« noch ein Substantiv hinzu, das sehr bezeichnend war, aber in der feineren Umgangssprache nicht gebräuchlich ist, und das wir deshalb weglassen. Daß es ein sehr treffender Ausdruck war, kann man übrigens schon daraus abnehmen, daß Tschitschikow, obwohl er den Bauer schon längst aus den Augen verloren hatte und eine ganze Strecke weitergefahren war, doch immer noch lächelte, während er so in seiner Britschke saß. Das gewöhnliche Volk in Rußland liebt es, sich kräftig auszudrücken! Und wenn es jemanden mit einem Spitznamen beschenkt, so haftet dieser ihm und seiner Nachkommenschaft an, und er schleppt ihn mit sich, auch wenn er in den Staatsdienst tritt und sich pensionieren läßt, und wenn er nach Petersburg oder ans Ende der Welt geht. Und mag er nachher auch noch so schlaue Manöver anstellen und seinen Spitznamen zu veredeln suchen, indem er durch Geldzahlung ein paar Skribenten dazu veranlaßt, ihn von einem alten Fürstengeschlechte abzuleiten, es hilft alles nichts: der Spitzname krächzt wie ein Rabe selbständig aus voller Kehle und sagt klar und deutlich, woher der Vogel gekommen ist. Eine mündliche treffende Äußerung läßt sich gerade wie eine geschriebene mit keiner Axt umhauen. Und wie treffend ist alles, was aus dem innersten Rußland herauswächst, wo es weder deutsche, noch finnische, noch andere fremde Volksstämme gibt, sondern nur den lauteren, lebendigen, frischen russischen Geist, der nicht einen Ausdruck erklügelt oder ihn mühsam ausbrütet wie die Henne die Küchlein, sondern ihn jemandem mit einem Male anheftet wie einen lebenslänglichen Reisepaß, und es braucht dann nicht erst noch hinzugefügt zu werden, was der Betreffende für eine Nase oder für Lippen hat: mit einem einzigen Striche ist er vom Kopfe bis zu den Füßen gezeichnet!
Wie eine unzählbare Menge von Kirchen und Klöstern mit Kuppeln und Kreuzen über das heilige, fromme Rußland ausgestreut ist, so drängt sich eine unzählbare Menge von Stämmen und Völkern in buntem Gewimmel auf dem Antlitze der Mutter Erde. Und jedes Volk, das in sich die Bürgschaft seiner Kraft trägt und mit schöpferischen geistigen Fähigkeiten, einer deutlich ausgesprochenen Eigenart und anderen Gaben Gottes ausgestattet ist, zeichnet sich durch seine besondere Sprechweise aus, mit der es die einzelnen Gegenstände bezeichnet und in dieser Bezeichnung zugleich einen Teil seines eigenen Charakters widerspiegelt. Die Sprache des Engländers bekundet Kenntnis des Menschenherzens und kluges Verständnis für das Leben; wie ein leichtsinniger Stutzer glänzt und flattert die flüchtige Sprache des Franzosen; grübelnd ersinnt der Deutsche seine nicht für jeden faßliche, kluge, magere Sprache; aber es gibt keine Sprache, die so schwunghaft und kühn wäre, so
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