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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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aus dem innersten Herzen hervorquölle, so brodelte und sprudelte wie die gesprochene russische Sprache, die immer den Nagel auf den Kopf trifft.

Sechstes Kapitel
    Einstmals vor langer Zeit, in den Jahren meiner Jugend, in den unwiederbringlich dahingeschwundenen Jahren meiner Kindheit, machte es mir Vergnügen, zum erstenmal nach einem unbekannten Orte zu kommen, ganz gleich, ob es ein Dörfchen oder ein ärmliches Kreisstädtchen oder ein Kirchdorf oder ein Fleckchen war – der neugierige Blick eines Kindes entdeckte in jedem Falle darin viel Interessantes. Jedes Gebäude, alles, was das Gepräge irgendwelcher auffälligen Besonderheit an sich trug, alles fesselte meine Aufmerksamkeit und machte mir einen starken Eindruck. Ein steinernes Staatsgebäude von der bekannten Bauart mit seinen zur Hälfte falschen Fenstern, das als das einzige seiner Art mitten in dem Haufen der einstöckigen Holzhäuser der Kleinbürger aufragte, eine runde, regelmäßige, ganz mit Weißblech beschlagene Kuppel, die sich über einer schneeweiß angestrichenen neuen Kirche erhob, ein Marktplatz, ein Elegant der Kreisstadt, der mir in der Stadt zu Gesicht kam, nichts entging meiner frischen, scharfen Aufmerksamkeit, und die Nase aus meinem Reisewagen hinaussteckend, blickte ich nach dem bis dahin noch nie gesehenen Schnitte eines Oberrockes und nach den Holzkisten mit Nägeln, weithin leuchtendem gelbem Schwefel, Rosinen und Seife, die durch die Tür einer Gemischtwarenhandlung zusammen mit Gläsern voll vertrockneten Moskauer Konfekts flüchtig sichtbar wurden; ich blickte auch nach einem an der Seite gehenden Infanterieoffizier, der Gott weiß aus welchem Gouvernement in die langweilige Kreisstadt verschlagen war, und nach dem Kaufmann, der in seinem Kaftan auf seinem flinken Wägelchen vorüberflog – und versetzte mich in Gedanken in ihr armseliges Leben hinein. Wenn ein Beamter der Kreisstadt an mir vorüberging, dann dachte ich sogleich: wohin mag er gehen, auf eine Abendgesellschaft zu einem seiner Kollegen oder geradewegs zu sich nach Hause, um noch eine halbe Stunde auf der Freitreppe zu sitzen, bis es ganz dunkel geworden ist, und sich dann zu einem frühen Abendessen mit seiner Mutter, seiner Frau, seiner Schwägerin und der ganzen Familie hinzusetzen? Und worüber werden sie sich unterhalten, während das Dienstmädchen mit den Glasperlen um den Hals oder der Junge mit der dicken Joppe gleich nach der Suppe das Talglicht auf dem langjährigen Familienleuchter hereinbringt? Wenn ich durch das Dorf eines Gutsbesitzers fuhr, so blickte ich neugierig nach dem hohen, schmalen, hölzernen Glockenturm oder der umfänglichen, dunkelfarbigen, hölzernen alten Kirche. Verlockend schimmerten von weitem durch das grüne Laub der Bäume das rote Dach und die weißen Schornsteine des Gutshauses zu mir herüber, und ich wartete ungeduldig darauf, daß die es verdeckenden Gärten nach beiden Seiten auseinandertreten möchten und es mir ganz sichtbar werden möchte mit seiner Fassade, die mir damals (o weh!) gar nicht häßlich vorkam. Und dann bemühte ich mich, aus seinem Äußeren zu erraten: was für eine Art von Mensch der Gutsbesitzer selbst sei, ob er dick sei, ob er Söhne habe oder ganze sechs Töchter, die den ganzen Tag über ihr helles Mädchenlachen erschallen ließen und fröhliche Spiele trieben, und von denen herkömmlicherweise die jüngste die schönste sei, und ob sie schwarzäugig seien, und ob er selbst ein lustiger Kumpan sei oder mürrisch wie ein Tag zu Ende des Septembers, ob er viel in den Kalender sehe und von Weizen und Roggen, diesen für die Jugend so langweiligen Dingen, rede.
    Jetzt fahre ich gleichgültig durch jedes unbekannte Dorf und blicke gleichgültig auf sein unschönes Äußeres; mein kalter Blick findet nichts Reizvolles; mir ist nicht zum Lachen zumute, und das, was in früheren Jahren eine lebhafte Bewegung auf meinem Gesichte hervorgerufen, mich zum Lachen gebracht und zu endlosem Reden veranlaßt hätte, das gleitet jetzt an mir vorüber, und meine unbeweglichen Lippen bewahren ein teilnahmsloses Stillschweigen. O meine Jugend, o meine Frische!
    Während Tschitschikow sich seinen Gedanken überließ und innerlich über den Spitznamen lachte, den die Bauern dem Gutsbesitzer Pluschkin verliehen hatten, bemerkte er gar nicht, daß er mitten in ein ausgedehntes Dorf mit einer Menge von Bauernhäusern und Straßen hineingefahren war. Bald indes machte ihm dies ein ganz gehöriger Stoß bemerklich,

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