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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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fragte Tschitschikow wieder.
    »Aber, Väterchen, sind Sie denn blind?« versetzte der Wirtschafter. »Nein, so etwas! Ich bin ja selbst der Hausherr!«
    Unser Held trat unwillkürlich einen Schritt zurück und blickte sein Gegenüber starr an. Er hatte schon viele Leute von allerlei Art gesehen, sogar solche, wie sie der Leser und ich vielleicht niemals zu sehen bekommen werden; aber einen solchen Menschen hatte er doch noch nie erblickt. Sein Gesicht bot allerdings nichts Besonderes dar: es war ziemlich von derselben Art, wie man es bei vielen mageren alten Männern findet; nur ragte das Kinn sehr weit vor, so daß er es jedesmal mit dem Taschentuch bedecken mußte, um es nicht zu bespucken; die kleinen Äuglein waren noch nicht erloschen und liefen unter den buschigen Augenbrauen umher wie Mäuse, wenn sie aus ihren dunklen Löchern die feinen Schnäuzchen herausstecken, die Ohren spitzen, mit den Barthaaren zucken, Ausschau halten, ob auch nicht eine Katze oder ein unnützer Junge da sei, und argwöhnisch sogar in der Luft umherschnüffeln. Weit merkwürdiger war sein Kostüm. Mit keinen Mitteln und keiner Mühe wäre es möglich gewesen, festzustellen, woraus sein Schlafrock zusammengeflickt war: die Ärmel und die oberen Partien der Schöße waren so vollgefettet und so glänzend geworden, daß sie dem Juchtenleder glichen, das man zu Stiefeln nimmt; hinten baumelten statt zweier Schöße ihrer vier, aus denen die Watte in Flocken herausquoll. Um den Hals hatte er sich etwas herumgebunden, was sich nicht bestimmen ließ: war’s ein Strumpf oder ein Band oder eine Leibbinde; jedenfalls war es kein Halstuch. Kurz, hätte ihn Tschitschikow in diesem Aufzuge irgendwo an der Tür einer Kirche getroffen, so hätte er ihm wahrscheinlich ein Kupferstück gegeben; denn zur Ehre unseres Helden muß gesagt werden, daß er ein mitleidiges Herz hatte und sich nie enthalten konnte, einem Armen eine kleine Münze zu reichen. Jetzt aber stand nicht ein Bettler vor ihm; vor ihm stand ein Gutsbesitzer. Und dieser Gutsbesitzer hatte mehr als tausend Seelen, und es hätte einmal jemand versuchen sollen, einen anderen zu finden, der so viel Getreide und Mehl besaß, und dessen Vorratsräume, Speicher und Trockenkammern mit einer solchen Menge von Leinwand, Tuch, zubereiteten und gegerbten Schaffellen, getrockneten Fischen und allerlei Gemüsearten, Pilzen und Beeren angefüllt waren. Es brauchte jemand bei ihm nur einen Blick auf den Arbeitshof zu werfen, wo ein gewaltiger Vorrat von allen möglichen Holzsachen und hölzernen Geschirren lag, die nie benutzt wurden, und er hätte geglaubt, auf den Holzmarkt in Moskau versetzt zu sein, wohin sich täglich die behenden Mütter der Ehemänner und Ehefrauen, von den Köchinnen gefolgt, begeben, um ihre wirtschaftlichen Einkäufe zu machen, und wo man in Gestalt großer, weißer Berge alle möglichen geschnitzten, gedrechselten, zusammengefugten und zusammengeflochtenen Holzsachen sehen kann: Fässer, Bottiche, Kübel, Teerbüchsen, Kannen mit und ohne Tüllen, Trinkbecher, Körbchen, Flachsbehälter für Spinnerinnen, Schächtelchen aus dünnem, gebogenem Espenholz, Marktkörbe aus geflochtenem Birkenbast und sonst noch vieles, vieles, was in Rußland reich und arm gebraucht. Man hätte fragen können: wozu hatte Pluschkin eine solche Unmenge derartiger Fabrikate nötig? Selbst wenn seine Besitzungen noch einmal so groß gewesen wären, als sie in Wirklichkeit waren, hätte er dies alles in seinem ganzen Leben nicht aufgebraucht; aber trotzdem schien es ihm immer noch zu wenig. Nicht zufrieden mit dem Vorhandenen ging er täglich durch die Straßen seines Dorfes, blickte unter die Brückchen und Stege, und alles, was ihm unter die Augen kam, eine alte Schuhsohle, einen Fetzen von einem Frauenkleide, einen eisernen Nagel, eine Topfscherbe, alles schleppte er zu sich nach Hause und legte es auf den Haufen, welchen Tschitschikow in der Ecke des Zimmers bemerkt hatte. »Da geht der Fischer wieder auf den Fang!« sagten die Bauern, wenn sie ihn auf Beute ausgehen sahen. Und in der Tat: hinter ihm brauchte man die Straße nicht zu fegen; hatte zufällig ein durchreitender Offizier einen Sporn verloren, so fand dieser Sporn im Nu seinen Weg auf den bekannten Haufen; hatte eine Bauersfrau am Ziehbrunnen Maulaffen feilgehalten und einen Eimer vergessen, so schleppte er auch den Eimer fort. Wenn es übrigens ein Bauer wahrnahm und ihn auf frischer Tat ertappte, so stritt er nicht und gab den

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