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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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oben über dem allen noch dunkler, strenger und drohender der Nachthimmel erscheint und die finsteren Wipfel der Bäume, mit den Blättern zitternd, tiefer in die schlummernde Dunkelheit hineinragen und über diesen Flitterglanz grollen, der unten ihre Stämme erleuchtet.
    Pluschkin stand schon mehrere Minuten lang da, ohne ein Wort zu sagen; Tschitschikow aber brachte es immer noch nicht fertig, ein Gespräch zu beginnen, da er durch den Anblick sowohl des Hausherrn selbst als auch alles dessen, was sich in seinem Zimmer befand, gar zu sehr befremdet war. Lange Zeit dachte er vergebens darüber nach, mit welchen Redewendungen er seinen Besuch wohl begründen könne. Schon wollte er sich ungefähr folgendermaßen ausdrücken: da er von seiner Tugend und seinen seltenen Charaktereigenschaften gehört habe, so habe er es für seine Pflicht gehalten, ihm persönlich den Tribut seiner Hochachtung darzubringen; aber er hielt sich zurück, da er fühlte, daß diese Ausdrücke denn doch zu stark seien. Nachdem er noch einen Seitenblick auf den Inhalt des Zimmers geworfen hatte, sagte er sich, daß der Ausdruck »Tugend und seltene Charaktereigenschaften« sich zweckmäßig durch die Worte »Wirtschaftlichkeit und Ordnungsliebe« ersetzen lasse; indem er daher seine Phrase in dieser Weise umgestaltete, sagte er, er habe von seiner Wirtschaftlichkeit und der vortrefflichen Verwaltung seiner Güter gehört und es daher für seine Pflicht gehalten, seine Bekanntschaft zu machen und ihm persönlich den Ausdruck seiner Hochachtung darzubringen. Freilich hätte sich eine andere, bessere Begründung vorbringen lassen; aber es fiel ihm im Augenblick nichts anderes ein.
    Hierauf murmelte Pluschkin etwas zwischen den Lippen (nicht zwischen den Zähnen, denn Zähne hatte er nicht mehr); was er in Wirklichkeit sagte, war nicht zu verstehen, aber der Sinn war wahrscheinlich dieser: »Hol dich der Teufel mit deiner Hochachtung!« Aber da die Gastfreiheit bei uns etwas so Übliches ist, daß auch ein Geizhals ihre Gebote nicht übertreten kann, so fügte er sofort etwas deutlicher hinzu: »Bitte ergebenst, Platz zu nehmen!«
    »Ich habe seit langer Zeit keine Gäste bei mir gesehen, und offen gestanden, ich sehe davon auch wenig Nutzen. Da ist nun der törichte Brauch aufgekommen, daß einer zum anderen auf Besuch fährt; aber die Wirtschaft wird darüber vernachlässigt … und dann muß man auch noch die Pferde mit Heu füttern! Ich habe mein Mittagessen schon längst hinter mir, und meine Küche ist sehr niedrig und unbequem, und der Schornstein ist ganz eingefallen; wenn man Feuer anzündet, riskiert man, das Haus in Brand zu stecken.«
    »Aha, so steht das!« dachte Tschitschikow bei sich. »Da ist es nur gut, daß ich bei Sobakewitsch einen Quarkkuchen und ein ordentliches Stück Hammelbraten zu mir genommen habe.«
    »Und es ist eine dumme Geschichte, daß ich auch nicht eine Handvoll Heu in meiner ganzen Wirtschaft habe«, fuhr Pluschkin fort. »Und in der Tat, wo soll ich welches herbekommen? Ich habe nur wenig Land, und die Bauern sind faul; arbeiten mögen sie nicht; sie denken nur daran, wie sie in die Schenke laufen können … Man muß sich in acht nehmen, daß man nicht auf seine alten Tage noch an den Bettelstab kommt!«
    »Man hat mir aber doch gesagt«, bemerkte Tschitschikow bescheiden, »Sie hätten mehr als tausend Seelen?«
    »Wer hat Ihnen das gesagt? Sie hätten dem, der Ihnen das gesagt hat, ins Gesicht spucken sollen, Väterchen! Das ist ein Spottvogel gewesen, der Sie offenbar zum besten haben wollte. Da sagen die Leute nun: ›Tausend Seelen‹; aber wenn man anfängt, sie zusammenzuzählen, dann kommt so gut wie nichts heraus! In den letzten drei Jahren hat das verdammte Fieber mir eine gehörige Menge Bauern dahingerafft.«
    »Was Sie sagen! Sind viele gestorben?« rief Tschitschikow teilnahmsvoll.
    »Ja, sehr viele.«
    »Gestatten Sie die Frage: wie viele denn wohl?«
    »Gegen achtzig Seelen.«
    »Nein, wirklich?«
    »Ich lüge nicht, Väterchen.«
    »Erlauben Sie, daß ich nach etwas frage: Das ist wohl die Zahl der Seelen, die seit dem Tage der Einreichung der letzten Revisionsliste gestorben sind?«
    »Dann könnte man zufrieden sein«, erwiderte Pluschkin. »Nein, die Zahl derjenigen, die seitdem gestorben sind, beläuft sich auf hundertzwanzig.«
    »Wirklich? Ganze hundertzwanzig?« rief Tschitschikow und öffnete sogar den Mund ein wenig vor Verwunderung.
    »Ich bin zu alt, Väterchen, um noch zu

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