Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
entwendeten Gegenstand zurück; war dieser aber erst einmal auf den Haufen gekommen, dann war alles zu Ende: er schwur, der Gegenstand gehöre ihm; er habe ihn dann und dann von dem und dem gekauft oder ihn von seinem Großvater geerbt. In seinem Zimmer hob er alles, was er nur sah, vom Fußboden auf; ein Stückchen Siegellack, einen Fetzen Papier, ein Federchen, und legte das alles auf den Schreibtisch oder aufs Fensterbrett.
Und doch hatte es eine Zeit gegeben, wo er nur ein haushälterischer Wirt war! Er war damals verheiratet und Familienvater, und ein oder der andere Nachbar besuchte ihn, um bei ihm zu Mittag zu speisen, ihm zuzuhören und von ihm die Wirtschaftsführung und eine weise Sparsamkeit zu lernen. Alles ging flott und munter und hatte seinen geregelten Verlauf: die Mühlen und die Walzwerke waren in Tätigkeit, die Tuchfabriken, die Tischlereien und Spinnereien arbeiteten; überallhin drang der scharfe Blick des Besitzers, und wie eine arbeitsame Spinne lief er geschäftig und behende an allen Ecken und Enden des Netzes seiner Wirtschaft umher. Besonders starke Affekte prägten sich in seinen Gesichtszügen nicht aus, aber seinen Augen sah man den ihm innewohnenden Verstand an; was er sagte, zeugte von Erfahrung und von Kenntnis des Lebens, und es machte einem Gaste Vergnügen, ihm zuzuhören; die freundliche, gesprächige Hausfrau war berühmt durch ihre Gastfreiheit; zur Begrüßung des Gastes erschienen zwei liebenswürdige Töchter, beide blond und beide frisch wie Rosen; auch ein Sohn kam hereingelaufen, ein munterer Junge, und küßte alle, ohne sich darum zu kümmern, ob das dem Gaste angenehm oder unangenehm war. Im Hause waren alle Fenster geöffnet; im Halbgeschoß wohnte ein französischer Lehrer, der sich vorzüglich rasierte und ein vortrefflicher Schütze war: er brachte immer ein paar Birkhühner oder Enten zum Mittagessen nach Hause, manchmal auch nur Sperlingseier, aus denen er sich einen Eierkuchen machen ließ, weil außer ihm im ganzen Hause ihn niemand aß. Im Halbgeschoß wohnte auch eine Landsmännin von ihm, die Gouvernante der beiden Töchter. Der Hausherr selbst erschien bei Tische in einem Oberrock, der zwar etwas abgetragen, aber sauber war; die Ellbogen waren in Ordnung, nirgends waren Flicken aufgesetzt. Aber die gute Hausfrau starb; ein Teil der Schlüssel und mit ihnen ein Teil der Sorgen ging auf ihn über. Pluschkin wurde unruhiger und, wie alle Witwer, argwöhnischer und geiziger. Auf die älteste Tochter, Alexandra Stepanowna, mochte er sich nicht in allen Stücken verlassen, und er hatte recht, da Alexandra Stepanowna bald mit einem Stabsrittmeister von Gott weiß was für einem Kavallerieregimente durchging und sich mit ihm schleunigst in irgendeiner Dorfkirche trauen ließ, da sie wußte, daß ihr Vater die Offiziere nicht leiden konnte, in dem seltsamen Vorurteile, daß sie sämtlich Kartenspieler und Verschwender seien. Der Vater sandte ihr seinen Fluch auf die Reise nach, gab sich aber nicht die Mühe, sie zu verfolgen. Im Hause wurde es noch öder. Bei dem Besitzer begann der Geiz sich deutlicher zu äußern; die ersten grauen Haare, die auf seinem struppigen Kopfe aufschimmerten, die treuen Freunde des Geizes, verhalfen diesem Laster noch zu weiterer Entwicklung. Der französische Lehrer wurde entlassen, weil für den Sohn die Zeit zum Eintritt in den Staatsdienst gekommen war; die Madame wurde weggejagt, weil es sich herausstellte, daß sie an Alexandra Stepanownas Entführung nicht unbeteiligt gewesen war. Der Sohn, der nach der Gouvernementsstadt geschickt worden war, um nach der Absicht des Vaters beim Gerichte den wahren Dienst kennenzulernen, trat stattdessen bei einem Regimente ein, schrieb dies seinem Vater erst, nachdem der Eintritt bereits erfolgt war, und bat um Geld zu seiner Equipierung; selbstverständlich »hustete ihm der Vater was«, wie das gewöhnliche Volk zu reden pflegt. Schließlich starb auch die letzte Tochter, die bei ihm im Hause geblieben war, und der Alte war nun der einzige Besitzer, Hüter und Wächter seiner Reichtümer. Das einsame Leben gab seinem Geize reiche Nahrung, der bekanntlich einen Wolfshunger hat und um so unersättlicher wird, je mehr er verschlingt; die menschlichen Empfindungen, die ohnehin bei ihm nicht so tief waren, wurden fortwährend seichter, und jeden Tag fiel an dieser bröckeligen Ruine ein neues Stück ab. Wie zur ausdrücklichen Bestätigung der Meinung, die er von den Offizieren hatte, begab es sich
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