Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
bei diesem Wetter? Aber ihre Geschäftspartner, für die sie die illegalen Transporte der anderen Ware übers Meer nach Triest organisierte, interessierten sich nicht besonders für die Schwierigkeiten der Lieferanten.
    »Nichts zu machen! Keinen Hund jagt man heute raus. Du weißt wie hart das ist! Wir können nur hoffen, daß der Sturm sich bald legt. Aber vor Dienstag rechne ich nicht damit.«
    »Papà, wenn es dann nicht klappt, gibt es ernste Probleme. Wir müssen! Ich habe es versprochen und Gubian wartet nur auf meinen Anruf.«
    »Unten in Istrien ist die Bora schwächer, das weiß auch Gubian. Wenn sie hier siebzig Knoten hat, sind das bei Cittanova gerade noch dreißig. Gubian hat gut reden. Aber auch für ihn wäre es schwierig!«
    »Dann also morgen. Sie warten. Ich rufe ihn an. Ihr trefft euch um Mitternacht an der üblichen Stelle.«
    »Unmöglich, Nicoletta. Wenn der Sturm so bleibt, fahren wir auch morgen nicht. Kein normaler Mensch fährt bei diesem Wetter raus, heute nicht, morgen nicht und so wie es aussieht, nicht einmal am Dienstag.«
    »Du bist der einzige, bei dem sich keiner wundert, Papà. Wenn ich nicht liefere, drehen die mir den Hals um. Ich bitte dich, laß mich nicht im Stich! Ich stimme alles für Dienstag früh ab. Die Geschäfte sind leer, wir werden die einzigen sein, die Fisch haben. Der Kühlwagen kommt um fünf Uhr am Mittwoch morgen.«
    »Verdammt, weißt du eigentlich wie alt ich bin? Nein, und nochmals nein! Nimm den Landweg!«
    »Die Grenzübergänge sind zu unsicher. Die kontrollieren zu viel. Du bist jung, Papà! Du bist immer bei jedem Wetter ausgelaufen. Dein Boot ist gut und die Crew ist die beste von allen. Ich bitte dich, fahr!«
    Ugo Marasi hatte seiner Tochter in den letzten 34 Jahren noch nie einen Wunsch abgeschlagen. Sie kam sehr nach ihm, weniger nach ihrer Mutter. Stur wie ein Ochse, spärlich im Umgang mit Worten, eine harte Arbeiterin, die keine Pausen kannte und deren finsterer Blick genügte, um die Angestellten auf Trab zu halten. Dabei bezahlte sie schlecht. Und auch in der Statur kam sie nach dem Vater: breitschultrig, Arme wie ein Ringer, kurzer Hals, auf dem ein trotziger, fast quadratischer Schädel saß. Sie war verbissen und undurchschaubar, aber eine gute Geschäftsfrau, die erreichte, was sie sich vornahm. Mit ihr zu verhandeln führte zur Niederlage. Es machte ihr auch nichts aus, schwerste Kisten mit Fisch und Eis herumzuwuchten, wenn sie der Meinung war, ihre Angestellten arbeiteten nicht schnell genug. Viele fragten sich, was sie eigentlich vom Leben wollte. Am nötigen Kleingeld fehlte es ihr nicht, mit Mann und Kindern konnte sie sich niemand vorstellen. Im Sommer machte sie für drei Wochen den Laden zu und verschwand. Niemand wußte, wo sie Urlaub machte. Sie kam genau so blaß zurück, wie sie weggefahren war, lediglich die dunklen Ringe unter den Augen verschwanden. Strandurlaub machte sie jedenfalls nie, und irgend jemand sagte einmal, Nicoletta sei eine Fischhändlerin, die das Meer haßte.
    Morgens ab fünf Uhr verhandelte sie mit ihrer dunklen und rauhen Stimme mit den Fischern am Molo Venezia und dirigierte die Verladung der Kisten in die Kühlwagen, zeichnete die Wägelisten ab für die Ware, die sie weiterverkaufte an andere Fischgeschäfte und Restaurants in der Region. Danach trank sie, wortlos wie die meisten, einen Kaffee in der Bar »Pescheria« oder dem »Roma« an der Riva Nazario Sauro. Das einzige Thema, für das auch sie sich interessierte, war die drohende Verlagerung des Fischmarkts aus dem Zentrum heraus in die Nähe des Porto Nuovo, gegen die sich die Fischer auflehnten. Aber wenig später stand sie in ihrem Laden und beäugte mißtrauisch, wie die Auslage hergerichtet wurde. Und dann verschwand sie, im dicken Pullover unter der dunkelblauen, gesteppten Weste, die ihre Statur noch mehr der eines Gewichthebers gleichen ließ, in dem unbeheizten Verschlag neben dem Lager, an dessen Eingangstür ein zerfleddertes Pappschild mit der Aufschrift »Ufficio« hing. Ein schäbiger Tisch mit Papierstapeln und einem alten Telefon, ein schwerer Holzstuhl ohne Kissen und ein schiefes Stahlregal waren die einzige Einrichtung in dem Verschlag, zu dem niemand außer ihr Zutritt hatte. Die Bücher führte sie selbst, Buchhaltern und Steuerberatern traute sie nicht über den Weg.
    »Nicoletta, ruf deine Partner an und sag ihnen, sie sollen den Wetterbericht anschauen.«
    »Das kümmert die nicht. Die wollen die Ware pünktlich haben.

Weitere Kostenlose Bücher