Die Toten Vom Karst
gesehen. Gestatten Sie mir nur ein paar Sätze vorneweg.«
»Wenn es Ihnen hilft, Signore. Aber bitte kurz. Die Menschen brauchen in dieser Stunde den Trost des Wortes Gottes.«
»Erlauben Sie, daß wir die Bürger nach der Messe in Ihrer Kirche anhören?« Laurenti schielte nach der Heizung.
»Ich werde Ihnen einen Raum im Pfarrhaus überlassen. Und jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen.«
Immer mehr Menschen drängten in die Kirche, belegten die Bänke und warteten schweigend. Viele weinten. Der Pfarrer war in die Sakristei gegangen, so daß Laurenti plötzlich alleine vor den Stufen zum Altar stand. Umberto Marrone hatte sich offenbar still verdrückt. Als Laurenti aus der Kirche trat und die Hände in die Jackentasche schob, fühlte er das Päckchen Zigaretten. Er drehte sich gegen den Wind und steckte sich eine Marlboro an, warf sie aber schon nach drei Zügen in den Schnee.
Marrone kam mit wichtigem Schritt auf Laurenti zu. »Wir haben einen Zünder gefunden.« Seine Stimme war leise. Niemand der Herumstehenden sollte die Bestätigung dessen hören, was längst als Vermutung kursierte. »Es handelt sich eindeutig um einen Anschlag.«
Laurenti kickte einen Steinsplitter weg. Der Schnee blieb auf seinem Schuh haften. Er war nervös, zornig und empört. »Hier hat jemand eine ganze Familie ausgelöscht. Die Frau war im siebten Monat. Das war niemand aus dem Dorf. Schauen Sie die Häuser an. Alle dicht an dicht gebaut. Nur die hier am Hang stehen ein paar Meter auseinander. Keiner aus Contovello kommt auf eine solche Idee.«
»Das war sorgfältig geplant.«
Sie gingen zurück in die Kirche und zwängten sich durch die Menschen, die eng aneinander gedrängt das kleine Kirchenschiff füllten. Der Pfarrer hob die Hand und es wurde schlagartig still, nicht einmal das obligate Einräuspern war zu hören. Er sprach ein paar Worte auf Slowenisch, deren Sinn Laurenti nur erahnen konnte. Dann richtete er den Blick auf ihn.
»Dober dan«, mehr Slowenisch, außer »na zdravje« konnte er nicht. Alle schauten ihn an, wie er mit seinem grellen Schal auf den Altarstufen stand. »Liebe Bürger – wir haben soeben den Beweis dafür gefunden, daß es sich um einen Anschlag handelt. Es war eine Bombe! Die Tat war genau berechnet, und es handelt sich um einen äußerst abgefeimten Täter. Hier wurde planmäßig eine ganze Familie ausgelöscht. Sie, die Bürger von Contovello, sollen wissen, daß die Polizei alles daran setzen wird, den Täter so schnell wie möglich zu finden. Wir haben alle verfügbaren Spezialisten hier, unsere Experten werden schon bald die Bauart des Sprengsatzes kennen. Aber das genügt nicht. Jemand hat die Bombe hergebracht. Heute nachmittag. Sonntags wird keine Post zugestellt, also war der Täter selbst hier. Wegen des Schneefalls gibt es keine Spuren. Kaum jemand war heute auf der Straße. Der Täter hat vermutlich auf einen solchen Tag gewartet. Vielleicht schon sehr lange. Er kennt sich zweifellos gut aus hier oben, im Dorf und in der Umgebung. Er kann nur zu Fuß unterwegs gewesen sein. Wer von Ihnen hat ihn gesehen? Und wann? Wir brauchen Ihre Unterstützung. Irgend jemand von Ihnen hat ihn bestimmt gesehen, wahrscheinlich schon vor Tagen oder Wochen. Nicht erst heute. Er war mit Sicherheit früher schon mehr als einmal im Dorf. Alles ist wichtig, was Ihnen einfällt. Auch wenn Sie der Meinung sind, daß eine Kleinigkeit keine Bedeutung habe – ich bitte Sie, teilen Sie sie uns mit. Die Familie Gubian ist tot! Sie kennen sich hier in Contovello alle sehr gut. Wenn Sie etwas wissen, auch nur etwas vermuten, das die Tat erklären könnte, dann sagen Sie es uns. Wir werden Ihre Hinweise mit Diskretion behandeln. Nach der Messe sind wir im Pfarrhaus, außerdem wird ein fahrendes Kommissariat auf dem Parkplatz installiert, in dem Sie uns in den nächsten Tagen finden. Signori, ich bitte Sie, helfen Sie uns, diese grausame Tat schnell aufzuklären. Signora Gubian hat ihr zweites Kind erwartet.«
Laurenti nickte dem Pfarrer zu und suchte sich behutsam den Weg hinaus. Er sah die stummen Blicke auf sich gerichtet und versuchte, jeden Augenkontakt zu vermeiden. Als er unter der Empore angekommen war, begann die Orgel zu spielen, und die Menschen in den Bänken erhoben sich.
Gegen Mitternacht war er endlich zu Hause. Durchgefroren, hungrig und müde. Die Anhörungen in Contovello hatten zwar nichts gebracht, dafür aber ewig gedauert, und die Sitzung im Kommissariat, bei der sie anschließend
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