Die Toten Vom Karst
der Leine.
»Der Hund?« fragte Laurenti.
»Ist auf Sprengstoff abgerichtet.«
»Wo sind die Toten?«
»Das, was von ihnen übrigblieb, ist auf dem Weg in die Gerichtsmedizin. Sie waren alle im Wohnzimmer.«
»Man muß das ganze überdachen! Haben Sie das veranlaßt?«
»Die Feuerwehr bereitet alles vor. Aber es ist nicht einfach bei dem Sturm. Sie wollen hier auf dem Platz ein Zelt für die Trümmer aufbauen. Wenn es gelingt, ich meine wegen der Bora.«
»Wer war zuerst da?«
»Der Priester und seine Haushälterin kamen fast zeitgleich mit unserer Patrouille. Sie bereiteten gerade die Abendmesse vor, als das Haus hochging.«
»Wo sind sie jetzt?«
»In der Kirche. Der Priester will in einer halben Stunde eine Messe für die Toten lesen.«
Laurenti schaute auf die Uhr. »Ich will vorher mit ihm reden.«
Sie stiegen über das rotweiße Plastikband, das den Platz absperrte. Der Uniformierte hielt Laurenti das Kirchenportal auf. Die Kirche war beheizt. Laurenti tauchte die Finger in die Weihwasserschale und bekreuzigte sich, was er seit Jahren nicht getan hatte. Er war nicht religiös und antwortete immer nur ausweichend auf die Frage, ob er gläubig sei oder nicht. Der einzige, an den er manchmal glaubte, war der Heilige Antonius von Padua, dem er einst, als er Laura zu erobern suchte, aus seinem schmalen Gehalt dreimal 100000 Lire spendiert hatte. Er wischte die Finger an der Hose trocken. Auf der rechten Seite des Kirchenschiffs stand eine hellblaue Prozessionsfahne mit der Darstellung des heiligen Hieronymus, dem Patron von Dalmatien, mit Buch und Löwe, dem er den Dorn aus der Pranke zieht. Laurenti zählte zwei Reihen mit jeweils neun Bänken in dem kleinen Barockkirchlein. Der Priester schaute sie fragend an, bewegte sich aber keinen Schritt vom Altar weg.
»Buona sera«, grüßte Laurenti.
»Dober dan!« entgegnete der Priester mit steinernem Gesicht.
»Verzeihen Sie, Padre. Wir müssen Sie einen Augenblick stören.«
»Ma, kdo pa ste vi?« Keine Mimik bewegte das Gesicht des Pfarrers.
Laurenti verstand kein Wort. Hilflos schaute er Marrone an.
»Er fragte, wer Sie sind«, übersetzte der Uniformierte laut und antwortete auf Italienisch. »Commissario Laurenti ist der Leiter der Kriminalpolizei in Triest.«
»Prego?« Das Gesicht des Priesters blieb unbeweglich.
»Man sagte mir, Sie waren als erster zur Stelle«, sagte Laurenti.
»Ja, das ist richtig.«
»Haben Sie jemanden gesehen?«
»Nein. Die Straße war leer.«
»Waren Sie zuvor in der Kirche?«
»Ja.«
»Kennen Sie die Familie?«
»Ich kenne jeden in Contovello.«
»Wer sind die Leute?«
»Die Gubians? Manlio hat ein Feinkostgeschäft in der Stadt. Seine Frau arbeitete mit ihm, bis vor einem Monat. Sie erwartete ihr zweites Kind. In etwa acht Wochen.«
»Gibt es Angehörige?«
»Manlios Vater lebt in Pola. Ich habe ihn angerufen. Er kommt noch heute abend. Elisabettas Eltern sind vor vielen Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.«
»Wo ist das Geschäft?«
»Hinter Sant’ Antonio Taumaturgo. Piazza San Giovanni.«
Laurenti kannte es. Er kam fast täglich daran vorbei, wenn er zu Fuß ins Kommissariat ging. Ein guter Laden, teuer, aber einer der wenigen in Triest, wo man wenigstens manchmal französischen Ziegenkäse bekam, den er für sein Leben gerne aß.
»Kamen die Gubians zur Messe?«
Der Pfarrer schien über die Frage zumindest einen Augenblick lang irritiert. »Wir sind eine kleine Gemeinde«, antwortete er. »Jeder im Dorf kommt, wenn auch nicht regelmäßig.«
Laurenti wußte, daß er nicht direkt nach der Beichte fragen durfte. »Wissen Sie von Problemen?«
»Nein.«
»Feinde? Neider?«
»Nein. Die Gubians waren ausgesprochen beliebt. Es ist ein harter Schlag für alle hier. Haben Sie die Gesichter der Menschen auf dem Platz nicht gesehen? Sie sind fassungslos und entsetzt. Ich werde nachher eine Messe für sie lesen. Sie brauchen Zuspruch und Trost, und die Nachbarn, deren Häuser beschädigt wurden, brauchen schnell Hilfe.«
»Politik?«
Der Pfarrer schaute ihn wortlos an.
»Ich meine, war Gubian vielleicht politisch aktiv?«
»Manlio? Nein! Manlio arbeitete Tag und Nacht. Er fuhr morgens sehr früh in die Stadt und kam am Abend selten vor einundzwanzig Uhr nach Hause. Sie haben das Haus erst vor ein paar Jahren gebaut. Es ist noch nicht abbezahlt.«
»Padre, ich möchte Sie darum bitten, daß ich vor der Messe ein paar Worte an die Leute richten darf. Vielleicht hat jemand etwas
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