Die Toten Vom Karst
sich hin.
Er riß die Packung auf und steckte sich eine Zigarette an. »Ich hoffe, es stört dich nicht, Sgubin! Los, fahr schon.« Dann blätterte er in der Zeitung. Bevor er zu den Tageshoroskopen kam, stieß er auf die Doppelseite mit den Nachrichten aus der Region.
»Halt! Sgubin, halt an.«
»Was ist los? Was hast du?« fragte sein Assistent besorgt.
Laurenti knallte ihm die Zeitung auf den Schoß. »Hier! Lies selbst!«
Jugendliche verüben Anschlag auf Haiders Projektionswand, lautete die Headline. Die Übertragung der Ansprache des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider kann voraussichtlich nicht stattfinden. Haider wollte am Sonntag eine Rede an seine Nachbarn in Friaul halten, die auf einer sieben mal zehn Meter großen Projektionswand auf der Piazza Matteotti in Udine übertragen werden sollte. Am Freitag abend gegen dreiundzwanzig Uhr stürmte eine Gruppe Jugendlicher, die in der Nähe eine Party feierte, die technische Anlage und steckte sie mit Hilfe zweier Benzinkanister in Brand. Die von Nachbarn alarmierte Polizei konnte vier Jungen und ein Mädchen im Alter von 17 bis 21 Jahren festnehmen. Die Polizei übermittelte uns lediglich die Initialen: A. V., 19, C. C., 18, beide aus Udine, G. F., 21, aus Butrio, M. L. 17, aus Triest. Das Mädchen, L. Z., 18, stammt ebenfalls aus Triest. Die Anzeige lautet auf Sachbeschädigung und groben Unfug. Eine Wache der Lega Nord beschützt seit gestern Nacht die Großleinwand. Wahrscheinlich wird es nicht mehr gelingen, die notwendigen Ersatzteile rechtzeitig zu beschaffen und den Schaden zu reparieren. Die Lega Nord kündigte an, Haiders Ansprache notfalls eine Woche später zu wiederholen.
»Und? Weshalb regst du dich auf?« fragte Sgubin. »Ist doch gut so.«
Laurenti stieß heftig den Rauch einer neuen Zigarette aus und riß Sgubin die Zeitung aus der Hand. »Hier! Hast du das nicht gesehen? M. L., 17, aus Triest! Rat mal, wer das wohl ist? Na? Fällt’s dir ein? Hast du schon einmal den Namen Marco Laurenti gehört? Und diese L. Z. ist wahrscheinlich seine Freundin Luciana. Sie ist auch noch älter als er, porcamiseria!«
»Ich weiß schon, weshalb ich keine Kinder habe!« sagte Sgubin und wollte den Wagen starten.
»Warte noch!« Laurenti wählte am Mobiltelefon Lauras Nummer und stieg aus.
Sie meldete sich nach dem dritten Klingeln.
»Hast du heute schon Zeitung gelesen?« schnauzte Laurenti ins Telefon, ohne sie zu grüßen.
»Ja, warum?«
»Warum? Kannst du nicht mehr lesen? Dein Sohn hat vermutlich große Probleme. Und ich auch. Und du auch.«
»Was ist los? Von was sprichst du?«
»Fahr sofort nach Udine und hol ihn da raus! Du bist näher dran, und ich muß arbeiten. Außerdem wäre das alles nicht passiert, wenn du hier wärst. Aber ein Sohn ohne Mutter – was will man da anderes erwarten? Wenigstens bist du nicht in Cittanova mit diesem Arschloch von Versicherungsbetrüger.«
»Proteo! Bist du verrückt? Von was redest du? Ich verstehe kein Wort!«
»Marco sitzt vermutlich seit gestern abend in Udine hinter Gittern. Lies wenigstens die Zeitung richtig, wenn du schon nicht da bist, verflucht! Und wenn du dich noch daran erinnern solltest, daß du seine Mutter bist, dann hol ihn da raus! Und ruf mich an, wenn du was weißt.« Er hängte ein und ging zurück zum Wagen. »Los, fahr schon«, schnauzte er Sgubin an.
Die Scherze des diensthabenden Vigile, der ihm den Wagen aushändigte, überhörte Proteo Laurenti. Er grüßte nicht einmal zurück, als man ihm die Schranke öffnete, damit er vom Gelände des städtischen Abstellplatzes fahren konnte. Er fuhr zum Büro und rannte die Treppe hinauf, suchte die Nummer der Questura in Udine heraus, wählte und legte auf bevor jemand abnahm. Nein, er wollte und er durfte nicht intervenieren. Er mußte seine Finger raushalten. Marco schadete es nicht, einen Tag mit den anderen in einer Zelle zu verbringen. In dieser Zeit richtete er wenigstens keinen weiteren Unfug an. Und Laura sollte sich ruhig ein bißchen Sorgen machen und sich kümmern. Vielleicht begriff sie auf diese Weise endlich, daß sie auf dem Holzweg war.
Wenig später schaltete er den Computer ein, um den Polizeibericht seit gestern nachmittag durchzulesen. Noch immer hatte er das Gefühl, daß er viel länger als nur ein paar Stunden aus Triest weg war, so als müßte er sich völlig neu einfinden. Die ersten Meldungen waren belanglos, dann riß ihn das Telefon aus der Lektüre.
»Proteo, bist du’s?« Es war die
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