Die Toten Vom Karst
tiefe Stimme Ettore Orlandos von der Guardia Costiera.
»Ach, Ettore. Was machst du heute im Büro?«
»Könnte ich dich auch fragen. Ich habe eine gute Nachricht für dich, von der ich nicht weiß, ob sie dir gefällt!«
»Marasi? Habt ihr doch noch was gefunden?«
»Nicht die Spur. Aber die Frau des toten Fischers war hier. Sie behauptet, daß die ›San Francesco‹ Dienstag nacht nicht alleine draußen war, sondern ein anderes Schiff getroffen habe.«
»Wen?«
»Das weiß sie nicht. Aber sie sagte, Marasi habe sich verplappert.«
»Ist diese Frau ernstzunehmen?«
»Ich glaube schon. Sie macht einen sehr vernünftigen Eindruck. Ich habe selbst mit ihr gesprochen, sie ist soeben gegangen. Das Protokoll erreicht dich in einer halben Stunde per Fax. Kannst du dir etwas darunter vorstellen? Ich meine, geben deine Ermittlungen vielleicht einen Hinweis darauf, wer der andere sein könnte?«
»Durchaus: Antonio Gubian. Der Vater der Leute in Contovello. Er ist im Alter Marasis. Wie sein Schiff heißt, weiß ich nicht. Schick eine Anfrage an deine kroatischen Kollegen.«
»Wie wär’s, wenn du deine neue Geliebte fragtest. Das ginge erheblich schneller, nehme ich an.«
»Laß die Scherze, Ettore! Ich habe dir schon mal gesagt, daß du mit deinen Vermutungen auf dem Holzweg bist.«
»Man hat euch gestern nachmittag händchenhaltend hinter Sant’ Antonio gesehen.«
»Wer?«
»Irgend jemand. Mach’s diskreter. Die Stadt ist zu klein, Proteo. Jeder kennt dich hier. Es würde mich wundern, wenn man es Laura nicht auch schon zugetragen hätte.«
»Beruhige dich, da ist wirklich nichts. Vernimmst du eigentlich die beiden Fischer nochmals?«
»Gleich Montag vormittag, falls sie kommen. Wir haben sie vorgeladen.«
»Dann halte mich bitte auf dem laufenden.«
»Wie waren eigentlich die Guati? Hast du sie wirklich alleine gegessen?«
»Ettore, vergiß es! Nicht einmal das habe ich gemacht. Ich mußte sie wegwerfen, weil ich vor lauter Arbeit nicht zum Kochen kam. Nicht einmal dazu, sie in den Kühlschrank zu legen.«
»Dann kauf das nächste Mal ein paar mehr und lad mich ein. Bis bald.«
Laurenti wurde ein zweites Mal aus seiner Lektüre des Polizeiberichts gerissen. Diesmal war es Tozzi von der Guardia di Finanza. Noch einer, der samstags am Schreibtisch saß.
»Dieser Gubian ist wieder hier. Nachdem Sie mich das letzte Mal beschimpft haben, weil wir ihn nach dem Geschrei dieser Frau nicht festgenommen haben, könnten wir es ja jetzt tun. Auch wenn nichts gegen ihn vorliegt.« Tozzi hatte ihm also noch immer nicht restlos verziehen. Sein Ton schwankte zwischen Ironie und Spott. »Er steht seit zwei Stunden unten auf der Straße und rührt sich nicht von der Stelle. Ich dachte, das interessiert Sie vielleicht, Laurenti.«
»Allerdings. Wo, sagten Sie, ist er?«
»Er steht versteinert wie ein Mahnmal auf dem Bürgersteig gegenüber der ›Boutique du poisson‹. Wenn er der Mörder Marasis wäre, würde er sich dies kaum trauen. Meinen Sie nicht auch?«
»Eher nicht, aber ich habe in meinem Leben schon genug Verrückte gesehen«, gab Laurenti zögerlich zu. »Können Sie ihn eine Weile im Auge behalten? Ich schicke so schnell es geht jemanden vorbei.«
»Ja, aber beeilen Sie sich.«
»Was macht die Marasi?«
»Sie kam zweimal heraus und schaute zu ihm hinüber. Sonst nichts.«
»Noch eine Frage, Tozzi. Haben Sie schon Erkenntnisse über Nicoletta Marasis Kontenbewegungen?«
»Wir sind dran. Die Unterlagen haben wir gestern noch erhalten. Wir stellen sie im Moment der Liste von Marasis Fahrten in internationale Gewässer gegenüber, die die Guardia Costiera geschickt hat. Es dauert noch. Montag wissen wir mehr.«
»Danke, Tozzi.« Laurenti knallte den Hörer auf.
Nicht nur für Sgubin, auch für Marietta war nach dem Anruf ihres Chefs der freie Samstag vorbei. Laurenti war ans Fax gegangen, wo er nicht nur das Protokoll der Aussage Eliana Scropettis vorfand, sondern auch den Bericht des Labors, der ihn gestern nicht mehr erreicht hatte. Der Befund war eindeutig: die weiße Masse in dem Plastikbeutel war Stukkaturgips. Selbst die Marke hatten die Laboranten dazugeschrieben. Aber es war eine Finte der beiden Fischer, die bei Nicoletta gezogen hatte. Davon hatte sich Laurenti gestern morgen selbst überzeugen können. Aber dann verfinsterte sich sein Gesicht und Marietta, die ihn wie üblich fröhlich begrüßte, bekam die erste Salve ab.
»Warum hast du mich gestern nicht über diesen Befund
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